Wertprinzip

Das Wertprinzip ist für mich eine Arbeitshypothese, mit deren Hilfe ich versuche, unser Denken besser zu verstehen.

Versuchen Sie sich, unsere Denkabläufe vorzustellen. Ähnlich, wie wir in der Mathematik mit Zahlen oder Werten rechnen, berechnen oder bewerten, scheint auch unser Denken insgesamt zu funktionieren. Nennen wir deshalb unsere oberste Denkstruktur einen Wert. Durch die Bewertungen, die aus unseren Werten entstanden sind, bestimmen wir die Wichtigkeit und die Charakteristik von Realitätsanteilen. Ebenso bestimmen wir durch diese Bewertungen die Wichtigkeit und Charakteristik von Konstrukten. Konstrukte sind von Zivilisationen oder Kulturen konstruierte irreale Strukturen. Zu den Konstrukten zählen die Moral, Ehrbereiche, Ideale, Normen und Rollen, die uns im Laufe der Erziehung vermittelt wurden. Die Werte innerhalb unserer Psyche haben also zwei verschiedene Bezüge.

Das angeborene Wertsystem hat scheinbar in erster Linie den Lebenserhalt zum Ziel. Erscheint unser Leben nicht gefährdet, so orientiert sich dieses System nach der Lustbefriedigung. Als Medien der Lustbefriedigung scheinen Neugierde, Harmonieempfindungen, Fühlen, Sehen, Hören, Riechen und Schmecken zu wirken. Nachdem dieses System seinsorientiert ist, funktioniert es linear. Das Resultat der Befriedigung ist Energie und als Nebeneffekt Leistung (siehe Energiemangelsyndrom).

Im anerzogenen Wertsystem finden wir die Ideale, Normen, Moral, Tabus und Ethik der jeweiligen Gesellschaft. Nachdem dieses System uns mit Druck eingeprägt wurde, wirkt es durch die Angst. Es kann im “besten Fall” nur eine Angstminimierung erreichen. In erster Linie versucht es somit, negatives Feedback zu vermeiden und in zweiter Linie, positives Feedback zu erreichen.

Erreichten wir als Kinder positives Feedback, so wurde das verbalisierte Lob oft verbunden mit biologischem Nutzen (Hautkontakt, Integration, mehr Freiheiten........). In Folge unseres assoziativen Denkens entstand damit eine Befriedigungsinterpretation gegenüber verbalisiertem positivem Feedback (Lob). Da uns heute, als Erwachsene die assoziative Interpretation erhalten blieb, daß positives Feedback in Form von Lob etwas positives ist, rennen wir nach positivem Feedback und verlieren immer mehr Energie, ohne Energie durch biologische Befriedigung zu erhalten. (siehe Energiemangelsyndrom).

Das anerzogene Wertsystem funktioniert habensorientiert und damit polar.

So wie es in unseren organischen Funktionen Sollwerte für Säuren, Basen, Elektrolyte, Sauerstoff, Hormone und ihre Wirkungen gibt, so bestehen auch in unserer Psyche ähnliche Strukturen. Weichen die IST - Zustände von den SOLL - WERTEN ab, so entsteht eine Regelungsnotwendigkeit des IST - Zustandes. Unsere Werte scheinen auch einen Vorgabecharakter zu haben. Werden Werte nicht in ihrer vorgegebenen Größe in ein entsprechendes Verhalten umgesetzt, entsteht Widerstand und eine gegensätzliche Wertgrößenänderung.

Bild 1 zeigt den für uns angestrebten Zustand an, bei dem ein Wert von 5 zu einem Verhalten von 5 führt. Stellen Sie sich zwischen “Wert” und “Verhalten” ein Gummiband vor. Bei gleicher Größe von Wert und Verhalten ist die Spannung des Gummibandes gleich Null. Wir sind dann auch psychisch in einem neutralen Zustand.

Beispiel : Unser Wert besagt, in einer bestimmten Zeiteinheit 5 Semmeln zu essen und wir setzen es in das Essen der 5 Semmeln in der Zeiteinheit um.

Oder: Unser Wert besagt, daß wir eine bestimmte Person 5 mal pro Woche sehen wollen. Wir sehen die Person 5 mal pro Woche.

Oder: Wir sitzen pro Tag gerne 5 Stunden am PC. In diesem Beispiel tun wir das.

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Bild 2 zeigt eine Situation, bei der ein Wert von 5 nur mit der Größe von 3 erfüllt wird. Die Spannung des Gummibandes ist von 0 auf 2 gestiegen. Wir fühlen eine Spannung oder einen Konflikt und eine Frustration. In diesem Zusammenhang können wir den Begriff der Frustration mit einer Diskrepanz zwischen Wert und Verhalten definieren.

Beispiel: Wir essen, weil ein Heilpraktiker uns den gesundheitlichen Schaden von Semmeln essen verdeutlichte, anstelle unseres Bedürfnisses von 5 Semmeln nur 3 Semmeln.

Oder: Weil die Person unserer Wahl uns nur 3 mal pro Woche sehen will, treffen wir die Person auch nur 3 mal anstelle unserer gewünschten 5 mal.

Oder: Weil sich die beste aller unserer Frauen über mangelnde Zuwendung beschwerte, sitzen wir anstelle unserer gewünschten 5 Stunden eben nur 3 Stunden am PC.

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Bild 3 zeigt uns Folgen des Verhaltens von Bild 2.

Wir können eine These aufstellen: Eine einem Wert nicht entsprechende Verhaltensweise bedingt eine gegenläufige Wertgrößenänderung. Die Wertgrößenänderung hat das Ziel, die Vorgabe zu erfüllen.

Durch die Erfüllung des vorherigen Wertes von 5 “nur” mit 3 stieg die Spannung auf 2. Der Wert musste sich von 5 auf 7 steigern, um den IST - WERT von “nur” 3, also das Verhalten zur vorgegebenen Größe zu heben. Gewissermaßen versucht unsere Psyche, durch die Spannungssteigerung des “Gummibandes” auf die Größe 5  mit dem Wert das Verhalten nach “oben” zu ziehen. Die Spannung des Gummibandes von 5 ist gleich zur Frustrationsintensität. Und je höher die Spannung  ist, um so größer muß der Gewaltaufwand sein, um “konsequent” zu bleiben.

Beispiel: Anstelle der ursprünglich gewollten 5 Semmeln aßen wir seit einiger Zeit nur 3 Semmeln. Durch die Nichterfüllung unseres Bedürfnisses entstand eine Steigerung unseres Wertes auf  7. Aufgrund des hohen Wertes von 7 denken wir an nichts anderes als unsere geliebten Semmeln. In Bäckereien zieht es uns magnetisch hinein. Und nur mit äußerster Willensanstrengung ist es uns noch möglich, “konsequent” zu bleiben.

Oder: Die Person, die uns “nur” 3 mal pro Woche sehen wollte anstelle unserer gewünschten 5 mal, stieg in unserem Wert auf 7. Die Spannung von 5 ist fast nicht auszuhalten. Wir überlegen uns Strategien, um den hohen Wert von nunmehr 7 erfüllen zu können. Die Person entwickelt sich zu einer angebeteten Zentralperson in unserem Leben. Immer mehr dreht sich um diese Person. Mit anderen können wir nur noch über diese Person sprechen.

Oder: Aufgrund von nur 3 Stunden pro Tag am PC empfinden wir schon beinahe Entzugserscheinungen. Die beste aller unser Frauen betrachten wir schon fast als Feind, der uns den Zugang zum PC in gewünschter Häufigkeit verwehrt. Aus der ehemaligen Lust auf den PC entwickelt sich eine Tendenz zur Sucht. Wie wär das toll, nun am PC und nicht neben der Frau zu sitzen, die nun zur Pflicht geworden ist. Wir denken bereits in ersten Gedanken an eine mögliche Scheidung von der Feindin. (Ist eigentlich bereits die Ehe mit Computern erlaubt? Hoffentlich!)

 

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Bild 4 zeigt uns die Folgen der Entwicklung in Bild 3.

Der gestiegene Wert von 7 hat es geschafft, mit der Spannung des Gummibandes das Verhalten nach sich zu ziehen. Wir haben nun zwar wieder ein Verhalten in der Größe, wie es der ehemalige Wert “wollte”. Aber nun besteht immer noch kein Verhalten, das der Wertgröße entspricht. Und das Prinzip, das wir vorher als These aufstellten, wirkt weiter.

Eine einem Wert nicht entsprechende Verhaltensweise bedingt eine gegenläufige Wertgrößenänderung. Die Wertgrößenänderung hat das Ziel, die Vorgabe zu erfüllen.

Das Verhalten, das dem ehemaligen Wert entspricht, müssen wir nun aufgrund eines Verstoßes gegen das Wertprinzip mit einer Spannung von 2 “bezahlen”. Ein Konflikt oder eine Spannung oder eine Frustration besteht in uns.

Beispiel: Wir essen jetzt wieder - aber mit schlechtem Gewissen - unsere 5 geliebten Semmeln pro Zeiteinheit. Zu dem doofen Heilpraktiker, der uns unsere heißbegehrten Semmeln nehmen wollte, gehen wir nie mehr hin. Nur mit allergrößter Mühe schaffen wir es, dem Wert von 7 Semmeln pro Zeiteinheit Widerstand entgegenzusetzen. Das wäre für uns ja möglicherweise wirklich zu ungesund, so viele Semmeln. Obwohl? Aufgrund von neuesten amerikanischen Studien über Semmelesser..... Die fanden heraus, daß Semmelessen unsere Überlebensfähigkeit unter gewissen Umständen gewaltig steigern kann. Sind halt doch Hunde, die Amis.

Oder: Unsere Abhängigkeit gegenüber der Person aller Personen hat in Verbindung mit dem “irren” Wert von 7 zu einer Strategie geführt, in deren Folge wir die angebetete Person wieder 5 mal pro Woche sehen, fühlen, riechen können. 5 mal ist ja schon ganz gut, aber 7 mal wäre das Paradies. Wie schaffen wir das denn? Eine andere Strategie muß her. Hatten wir eine Strategie, die in Verbindung mit Respekt gegenüber der Person aller Personen verlief, so werden wir wohl keinen Widerstand von der Person aller Personen ernten. Haben wir jedoch in unserer Strategie Druck, Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Forderungen verwendet, also mit einem Wort “Gewalt” ausgeübt, so ist der Widerstand der Person aller Personen vorprogrammiert. Je nachdem, welchen Druck wir in aufbauten und der Widerstandsfähigkeit der Person aller Personen werden sich wohl dann die Treffen pro Woche gegen Null verschieben.

Oder: Die schlimmste aller unserer Frauen mosert nur noch herum. Soll sie! Unseren Computer lassen wir uns von niemandem wegnehmen, von niemandem. Kapiert?? Die ersten Rechtsanwälte wurden bereits konsultiert. Kann sie uns den Computer im Rahmen einer Scheidung wegnehmen? Das ist die strittigste Frage.

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Bild 5 zeigt uns einen späteren Punkt in dem Prozess an, den wir durch eine kleine Nichterfüllung eines Wertes begonnen haben. Der Wert und die Spannung ist ins Unermessliche gestiegen. Es besteht der Zustand der Sucht. Wir sind unglücklich und manchmal depressiv über das Leben, in dem es nicht möglich scheint, unsere Werte zu erfüllen.

Beispiel: Semmeln können wir leider nur noch 5 pro Zeiteinheit essen. Unser Darm verträgt die 5 Semmeln schon schlecht. Der Doktor sagt, er ( der Darm, nicht der Doktor) sei sehr verpilzt. Was ist denn das noch für ein Leben, in dem das Liebste nicht ohne Schäden gegessen werden kann. Diese blöde Gastritis!!!

Oder: Alle unsere Überredungskünste haben versagt. Die Göttin (oder der Gott) willigt auch nach dem Angebot, noch mehr für weitere Treffen zu bezahlen als 75% unseres Monatseinkommens nicht in eine Häufung der Treffen ein. Die Bank gewährt keine weiteren Darlehen. An alles haben wir bereits gedacht. Entführung, Erpressung, Androhung des Selbstmordes, Waffengewalt. “Was für eine Welt?” Andere nennen es Hörigkeit. Aber was kann man denn anderes fühlen, gegenüber so einer Göttin (oder einem Gott).

Oder: Die Frau ist schon lange weg. Der Job und die Freunde auch. Die Sehfähigkeit fast auch. Unsere Augen wurden rechteckig. Dafür haben wir 45 Kilo zugenommen und können kaum mehr sitzen. Was ist das für ein Leben und für eine Gesellschaft, in der die Sozialhilfe beinahe nicht mehr reicht, die Grundbedürfnisse eines Bürgers zu erfüllen. Wo sollen wir nun die neue Festplatte herkriegen, auf die unsere Daten passen? Ganz zu schweigen von dem neuen Prozessor mit der unglaublichen Leistung. Bezahlt die Sozialhilfe nicht, so klauen wir ihn eben. "Die sind selber schuld."

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Ein paar Beispiele, in denen Werte unter ihrer Größe erfüllt wurden. Wo sind die größten Diskrepanzen in Ihrer Psyche zwischen Ihren Werten und der Erfüllung durch das Verhalten? Durch welche Umstände sind Ihre Werte nicht oder schwer erfüllbar? Sind die Gründe intern durch Ihre Normen, Moral, Schuld oder rationale Vorsätze bedingt? Fremdwerte und das daraus entstehende “Soll” sind unsere internen Gründe für die Einschränkung unserer Werte. Oder sind die Gründe, derentwegen sie ihre Werte nicht entsprechend ihrer Größe erfüllen, extern, also in ihrer Umwelt zu finden?

Hier noch einige Situationen, bei denen wir oder andere uns zwingen, unser Verhalten größer als den Wert zu praktizieren.

Bild 6 zeigt den paradiesischen Zustand von Wert gleich Verhalten an.

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Bild 7 zeigt die erste “kleine” Abweichung.

Beispiel: Spinat ist ganz gut. Weil wir Spinat mögen, essen wir in ca. 2 Wochen ca. 5 mal Spinat. Ein Artikel in einer Gesundheitszeitung und unser Heilpraktiker wiesen uns auf die sagenhaften Vitamine und den hohen Eisengehalt von Spinat hin. Wir bemühen uns - und anfangs fällt es uns gar nicht schwer - etwas mehr Spinat in uns hinein zu würgen. Der Spinat schmeckt irgendwie nicht mehr so gut - aber wan´s sche mochd! (Übersetzung auf Deutsch : wenn es schön macht)

Oder: Brigitte oder Franzl würden uns gern öfter sehen. Was soll´s eigentlich? Brigitte oder Franzl sind ja ganz ok. Warum sollten wir ihm oder ihr eigentlich nicht mal einen Gefallen tun? Die Spannung wächst. Irgendwie reden Brigitte oder Franzl nur noch Blech. Warum bin ich heute eigentlich so schlecht gelaunt?

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Bild 8 zeigt eine Reduktion des Wertes aufgrund des Verstoßes in Bild 7.

Beispiel: Dieser saudumme grüne Baz. Wer hat den nur erfunden? Uns würgt, wenn wir nur daran denken, daß die nächste “gesunde Ration” bald auf uns zukommt. Der Konflikt steigt. Sollen wir uns wirklich noch zwingen? "Des muas scho sausche maha." (Übersetzung auf Deutsch: Das muß schon sauschön machen.)

Oder: Früher war es doch eigentlich mal ganz schön mit Brigitte oder Franzl. Wir verstehen die Wandlung in unseren Gefühlen nicht. Was ist denn nur geschehen. Er oder Sie tun uns doch nichts. Aber die Treffen stehen in einem ungünstigen Aufwand - Nutzen - Verhältnis.

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Bild 9 zeigt uns, daß der gesunkene Wert durch die Spannung des “Gummibandes” das Verhalten nach “unten” zieht.

Beispiel: Bei größter Überwindung und intensivstem Vorsatz können wir den grünen Baz kaum mehr in uns hineinquetschen. Ekel, Abscheu und nur noch Widerstand empfinden wir.

Oder: Dieses dumme Geschwätz von Brigitte oder Franzl ist fast nicht mehr auszuhalten. Uns fallen schon bald keine Ausreden mehr ein, die uns vor einem Treffen mit Brigitte oder Franzl schützen könnten.

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Bild10 zeigt uns die weitere Reduktion des Wertes an, die in der Folge dessen entsteht, daß wir immer noch nicht in der Lage waren, ein dem Wert entsprechendes Verhalten zu praktizieren.

Beispiel: Wir kennen keine Speise, die soviel Widerstand in uns auslöst, wie der grüne Baz. Als nächstes zieht der Wert mit seinem “Gummiband” das Verhalten auf Null, was gleichbedeutend damit ist, daß wir die Speise nicht mehr essen.

Oder: Wir kennen niemanden wie Brigitte oder Franzl, dessen Anwesenheit in uns so viel Widerstand auslöst. Als nächstes zieht der Wert mit seinem “Gummiband” das Verhalten auf Null, was gleichbedeutend damit ist, daß wir uns denjenigen vom Leibe halten.

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Schlußfolgerung:

Ich habe die These aufgestellt: Eine einem Wert nicht entsprechende Verhaltensweise bedingt eine gegenläufige Wertgrößenänderung. Die Wertgrößenänderung hat das Ziel, die Vorgabe zu erfüllen.

Frei von den Einflüssen der Erziehung scheinen wir unsere Werte zu erfüllen, außer, daß die Umstände innerhalb der Realität dieses nicht oder schwer erlauben. Sind wir gesund, so haben wir dann keine Probleme, da wir die Realität und ihre Angebote so akzeptieren können, wie sie sich uns darstellen.

Beispiel: Mein Wert auf “Apfel” ist bei fünf. Nachdem aber eine tiefe Schlucht den Weg zum nächsten Apfelbaum verwehrt und der übernächste Apfelbaum zehn Kilometer von mir entfernt ist, steht das Verhältnis von “Apfel essen” und durch die Schlucht zu klettern oder zehn Kilometer zu laufen in keinem günstigen Aufwand - Nutzen - Verhältnis.

Oder: Biologisch scheinen wir die Entscheidungen anderer zu respektieren, vorausgesetzt wir respektieren uns selbst. Hat also jemand in unserem Umfeld eine kleinere oder keine Bereitschaft, sich mit uns zu treffen, so wird dieser Umstand als ein Teilbereich der Realität akzeptiert und wir gehen zum Nächstreizvollen, um dort unser Glück zu versuchen.

Was scheinen nun die Ursachen zu sein, derentwegen wir sowohl die Werte und Verhaltensweisen anderer, wie auch unsere eigenen so oft nicht genügend respektieren?

Meine These: Die Summen der uns anerzogenen Werte, also Normen, Moral und sogenannte Rücksichten bedingen unsere Investitionen und steigern dadurch unsere Verlustängste, mit den daraus resultierenden Fixationen. Wir prostituieren uns durch weitere Investitionen und gehen nun natürlich von der Interpretation aus, daß uns nun ein Gegenwert für unsere scheinbar altruistischen Verhaltensweisen zustünde. Nun beginnen wir, scheinbar legitim zu fordern und vergessen, daß wir durch unsere Forderungen zeigen, den Anderen schwer respektieren zu können.

Unser Normen bedingen unsere Rollen, (siehe auch Kugel und Rollen ) darin enthalten sind unsere Pflicht- und Rechtsbereiche. Haben wir unsere Pflichten erfüllt, entstehen unsere Rechtsempfindungen. Wir gehen nun von der Legitimität einer Erwartung aus und produzieren Forderungen gegenüber anderen, die bei denen Widerstand auslösen.

Beispiel: Der Mann erfüllt seinen Rollenauftrag, Geld für die Familie zu verdienen. Er erwartet nun als “Gegenleistung” für seine Investition die Erfüllung der Pflichten seiner Frau, auch wenn diese manche seiner Erwartungen nicht erfüllen will. Versteht er nun das Wertprinzip, so ist es für ihn klar, warum seine Frau immer mehr Widerstand gegenüber seinen Forderungen und Gewalten hat. Versteht er es nicht, so wird er sich mit Steigerung seiner Pflichterfüllung die Steigerung seiner Rechte erarbeiten, so daß seine Frau doch irgendwann seine Forderungen erfüllen muß.

Oder: Unsere Moral behindert uns sehr häufig, Dinge zu tun, die uns sehr gefallen würden. Vorwiegend unsere tabuorientierte Sexualität innerhalb unserer Gesellschaft wird in vielen Bereichen dazu führen, daß wir unsere Werte nicht in der jeweiligen Größe erfüllen.

Oder: Unsere Rücksichten verursachen in Verbindung mit Mitleid häufig, daß wir uns “überwinden”, uns mit anderen Menschen zu konfrontieren, mit denen kein biologischer Reiz verbunden ist. Wie viele Kinder sind nur pflichtorientert bereit, im Rahmen von “Anstandsbesuchen” ihre Verwandten zu besuchen?

Oder: Wie oft denken wir in Folge unserer Verlustängste: “Wenn ich dieses oder jenes für diese mir wichtige Person nicht tue, dann verliere ich sie”? Wir fixieren uns auf “wichtige” Personen, geraten in Abhängigkeitsverhältnisse, prostituieren uns und verstoßen gegen unsere eigenen Werte.

Oder: Mit unserer Pseudovernunft erfüllen wir gesellschaftliche Ideale von Gesundheit, essen, was wir nicht wollen und verzichten auf Dinge, auf die wir eine große Lust haben.

Oder Thema Sucht: Versuchen wir auf der Basis des Wertprinzipes eine Definition der Sucht aufzustellen.

Eine Sucht ist ein Wert in einem Individuum, der aufgrund seiner hohen Intensität destruktive Folgen für das Individuum nach sich zieht.

Ich stelle die These auf, daß wir alle unsere Werte in ihrer Größe erfüllen, solange keine Fremdwerte innerhalb unserer Psyche wirken. Erst die Anwesenheit von Fremdwerten bewirkt, daß wir durch dann vorhandene Tabus, Skrupel, Schuldempfindungen, Pseudovernunft und Ideale unsere eigenen Werte nicht respektieren und Verhaltensweisen praktizieren, die größer oder kleiner als unsere Werte sind. Die Voraussetzung für Wertverschiebungen ist gegeben. Wenn nun Werte in solcher Größe entarten, daß schon deren Anwesenheit und deren Auswirkungen im Rahmen des Verhaltens in uns destruktiv wirken, befinden wir uns im Zustand der Sucht.

Beispiel Alkohol: Bei den meisten Menschen beginnt der Konsum des Alkohols mit dem Motiv des Dazugehörens zu idealisierten Gruppen (Freunde, Erwachsene, coole Menschen). In dieser Phase erkennen wir eine Wirkung der Reduktion von Problem - oder Angstempfindungen. In Problem - oder Angstempfindungssituationen greifen wir durch unsere Kenntnis dieser Wirkung intuitiv nach Alkohol. Sobald wir rational erkennen, daß der Alkoholkonsum für uns nicht Lösungen von Problem - oder Angstempfindungen bedingt, versuchen wir (pseudovernünftigerweise), den Konsum des Alkohols zu reduzieren. Unsere Emotio, die jedoch viel mehr auf den Moment orientiert ist, hat in der Alkoholwirkung bereits eine positiv erscheinende Folge erkannt. Daraus entstand eine höhere BeWERTung von Alkohol, die nun von unserer Ratio unterdimensional erfüllt werden will. Unsere so genannte Vernunft versucht jetzt, den Alkoholkonsum zu reduzieren. Nun ist die Steigerung des Wertes “Alkohol” nicht mehr aufzuhalten. Wir befinden uns im Zustand der Sucht. Das Wort “Pseudovernunft” benutze ich deshalb, weil diese Form von Vernunft in uns den Krieg zwischen Ratio und Emotio auslösen muß, weil unsere emotionalen Werte durch diese “Pseudovernunft” destruktiv entarten müssen. Vernunft, die Konstruktives schaffen muß, hat aber in dieser Situation Destruktives geschaffen. Die Umwelt schlägt mit “guten Ratschlägen” oder “Vorwürfen” in dieselbe Kerbe, in die der Süchtige mit seiner eigenen rationalen “Pseudovernunft” schon selbst durch seine eigenen Vorsätze, die Sucht zu beenden, schlägt. Beide, die Umwelt und der Süchtige versuchen nun gemeinsam, den Wert ignorierend das Verhalten nach “unten” zu korrigieren und steigern nichts anderes, als den Wert in destruktivere Größen. Die Spannung des Gummiseils steigt, der Kampf und die Gewalt nehmen zu. Und in der Regel “gewinnt” der Wert, der mit seinem “Gummiseil” das Verhalten nach sich zieht. Der Konsum, also die Suchterfüllung nimmt zu.

Ähnlich verhält es sich in unserer Gesellschaft mit dem Gewichtskonflikt. Irgendwann kommt der Moment, in dem wir in einen Spiegel schauen, das, was wir sehen, innerhalb unseres Kopfes mit den Figur-Idealbildern unserer Kultur vergleichen und meist für zu voluminös bestimmen. Wieder beginnt unsere Pseudovernunft ihr zerstörerisches Wirken. Nachdem wir Gewicht mit Essen assoziieren, versuchen wir mit der Hilfe eines Vorsatzes, dem zu hoch erscheinenden Gewicht an den Kragen zu gehen. Wir planen, weniger zu essen als unser Wert (Appetit) besagt. Der destruktive Vorgang beginnt, der mit der Steigerung des Wertes, dann des Essens und dann des Gewichtes einhergeht.

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Organisieren Sie Gruppen von Leuten, die sich für zu dick halten. Buchen sie mit diesen Leuten in ein “all inclusiv Hotel” mit bester Küche. Binden sie die “Dicken” vertraglich zu essen, was sie den “Dicken” auf den Teller tun. Beim ersten Frühstück dürfen sich alle heraussuchen, was sie wollen. Nachdem alle satt sind, beginnt ihr grausamer Job. Jeder der “Dicken” bekommt noch eine bis drei Portionen seiner Lieblingsspeise. Kneifen gibt es nicht (Sie kennen doch "den Vertrag"). Je übler es den “Dicken” wird, umso besser. Sie dürfen erbrechen, müssen aber die Essensvorgabe erfüllen. Nachdem niemand mehr bei gutem Befinden ist, verabschieden sie sich von den “Dicken”, wünschen ihnen 2 Stunden Erholung, die jene auch benötigen, weil in zwei Stunden das Mittagessen beginnt. Anwesenheit obligat, Ausreden gelten nicht. Die Prozedur wie beim Frühstück beginnt wieder. Achten sie darauf, daß niemand mehr bei gutem Befinden ist und verabschieden sie sich bis zum Abendessen freundlich. Abends dasselbe. Das Essen ist spätestens am zweiten Tag das Schlimmste, was es im Leben der “Dicken” gibt. Um sicher zu gehen, den “ESSENSWERT” nachdrücklich zu senken, dürfen sie jedoch keine Nachsicht üben und mitleidig den “Dicken” das Essen oder sogar einige Folter - Tage erlassen. Interessanterweise wird der Vorgang des Zunehmens nur anfangs und gering ausfallen. Dann wird fressend abgenommen. Ich bin gespannt auf ihre Erfahrungen.

 

p.a.hartberger@arcor.de

Copyright © 1999 Peter A. Hartberger
Most recent revision: Donnerstag, 06.08.2009