Kugel und Rolle

Stellen Sie sich den Menschen bei und kurz nach der Geburt vor. Er gleicht mit seinem genialen Wertsystem, das auf Lebensfähigkeit und Lustbefriedigung orientiert ist, einer optimal runden Kugel. Die Kugel ist also im weiteren das Symbol für einen Menschen, dem noch nicht durch den Spießrutenlauf der Erziehung Fremdwerte aufgezwungen wurden, die im Verlauf des Lebens des Erzogenen viel Schaden bedingen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Erziehung und Information. Der Erziehungsprozess erscheint mir als ein Gewaltvorgang, bei dem die Umwelt einem zu Erziehenden erpresserisch ein kulturspezifisches Wertsystem aufzwingt, das nur durch Angst seine Wirkungen und Ziele erreicht. Anders der Prozess der Information. Dabei werden einem jungen Menschen Informationen angeboten, deren Integration ins Wertsystem jedoch der Entscheidung des Kindes überlassen wird. Die Kugel ist also dieses Symbol für eine PRIMÄRBIOLOGISCHE, SELBSTORIENTIERTE EINHEIT, die den Menschen bei seiner Geburt darstellt. Stellen Sie sich nun wieder vor, dass auf der Oberfläche der Kugel alle Begriffe, die wir in der uns bekannten Realität kennen, geschrieben stehen. So stehen zum Beispiel die Worte "klein, fleißig, Depp, hässlich, schön, Liebling, dick, faul, intelligent, Nasenbohrer, langsam" und so weiter darauf. Diese Worte, mit denen wir unsere Realität interpretieren, sind positiv bewertet, solange sie unsere Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit aufrechterhalten oder intensivieren. Realitätsaspekte, die unsere Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit gefährden, führen zu einer gesunden Angst und dadurch zu gesundem Abwehrverhalten und Widerstand, die den Zweck haben, die Werte Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit zu erhalten. Dieses, von mir so genannte primärbiologische Wertsystem erleichtert es uns, die Realität konstruktiv zu interpretieren und uns harmonisch in sie zu integrieren. Im Verlauf des Aufwachsens bewertet die Umwelt in Form der Eltern, Freunde, Verwandten und Bekannten unsere Charakteristika. Unsere Charakteristika sind mit den Worten auf unserer Oberfläche gleichzusetzen. Innerhalb unserer zur Zeit bestehenden Kultur werden nun meist die Worte "klein, Depp, hässlich, dick, faul, Nasenbohrer, langsam", negativ interpretiert und somit werden wir mit dem negativen Feedback der Umwelt bombardiert, sobald wir diese mit unseren Eigenschaften konfrontieren. Negatives Feedback erhalten wir durch die bekannten Strafaktionen im Rahmen von Schuldprojektionen durch: Schimpfen, Schläge, früher ins Bett müssen, Liebesentzug, oder Strafarbeiten. Diese Strafen lösen in uns Ängste aus. Wir erkennen nun, dass, wenn wir Eigenschaften wie :"klein, Depp, hässlich, dick, faul, Nasenbohrer, langsam" und so weiter in unserer Umwelt demonstrieren, daraus Schaden, in Verbindung mit Angst, für uns entsteht. Mit der Zeit werden wir Aspekte, die zuerst nur die Umwelt an uns negativ bewertet hat, selbst auch negativ bewerten. Die Angst davor, negativ bewertet zu werden, konnten wir dadurch reduzieren, dass wir Verhaltensweisen demonstrierten, die in unserer Umwelt positives Feedback auslösten. Durch Liebsein, Bravsein, Schönsein, Intelligenz, Leistung waren wir nicht nur in der Lage, Strafaktionen zu vermeiden, sondern wir ernteten sogar positives Feedback in Form von Liebesdemonstrationen und Scheinakzeptanz, z.B. durften wir länger wach bleiben, bekamen neues Spielzeug, besondere Nachtische und scheinbare Freiheiten. Und so entstanden nun unsere Rollen, die wir hier zum Beispiel so definieren können: Die Rolle entsteht aus Angst vor negativem Feedback. Diese Angst löst ein Verhalten (Negativrolle) aus, das zum Ziel hat Eigenschaften, die negativ bewertet werden, weniger zu zeigen. Die selbe Angst führt natürlich auch zu Verhaltensweisen (Positivrolle) mit dem Ziel, Eigenschaften mit positiver Bewertung darzustellen. Stellen Sie sich wieder unsere Oberfläche vor, auf der all die uns bekannten Begriffe stehen. Wir erkennen bald: immer, wenn wir durch unsere Verhaltensweisen Eigenschaften oder Charakteristika demonstrieren, die innerhalb unserer Umwelt negativ bewertet werden, wird negatives Feedback ausgelöst, in der Folge Frustrationen. Diese Frustrationen können wir dadurch vermeiden, dass wir die "negativen" Eigenschaften nicht mehr zeigen. Symbolisch gesagt, decken wir das Wort "Nasenbohrer" auf unserer Oberfläche einfach dadurch zu, dass wir nicht mehr öffentlich in der Nase bohren. Wir geben dadurch zu verstehen, kein Nasenbohrer zu sein. So verfahren wir auch mit anderen Dingen: wir versuchen, nicht mehr "klein, deppert, hässlich, dick, dumm, faul, langsam" zu erscheinen. Wir decken diese Worte auf unserer Oberfläche quasi zu, so dass sie von niemandem mehr gesehen werden. Zum Zudecken dieser Worte ist uns alles recht. Wir verwenden Papierstückchen, Schlamm oder wie zufällig vor diesen nun negativ interpretierten Worten stehende Luftballons. Alles ist uns willkommen, um der Umwelt vorzutäuschen, wir seien nicht "klein, deppert, hässlich, dick, dumm, faul, langsam". Diese und andere, jetzt negativ interpretierte Eigenschaften seien uns völlig fremd. Das "Kleinsein" können wir mit dickeren Schuhsohlen kompensieren. Den dummen, faulen, langsamen Depp zu verstecken, fällt uns schon etwas schwerer, aber wir finden Mittel und Wege, auch dieses zu kompensieren. Das Hässliche an uns lässt sich wegschminken und was der Schminke trotzt, kann man oder Frau operieren lassen. Dem, was dick an uns erscheint, rücken wir mit brutalen Abmagerungskuren, mit Diäten und dem Schwitzen in Fitneßclubs zu Leibe. Auf was verzichten wir nicht alles und wie vergewaltigen wir uns auf vielfältige Arten und Weisen durch derartiges Verhalten. Und das alles nur, um die Angst zu vermeiden, die entstünde, wenn die Umwelt erführe, welche und wie viele negative Eigenschaften wir glauben zu haben. Von diesen Negativrollen kommen wir nun zur anderen Art von Rollen, die man uns anerzogen hat, den Positivrollen. Wenn wir Eigenschaften zeigten, die die Umwelt als positiv bewertete, wie zum Beispiel: Schönheit, Fleiß, Intelligenz, Größe, Leistungsfähigkeit, Weitsicht, und so weiter, brauchten wir keine Angst vor Ablehnung zu haben, sondern erhielten sogar positives Feedback in Form von Liebesdemonstrationen und Scheinakzeptanz, länger wach bleiben dürfen, neues Spielzeug, besondere Nachtische und scheinbare Freiheiten. Kein Wunder, dass wir uns eilig daranmachten, diese Worte, die von der Umwelt positiv interpretiert wurden, auf unserer Oberfläche herauszuputzen. Wir verzierten die Worte mit kleinen, aber auffallenden goldenen Rahmen, polierten sie auf Hochglanz und zeichneten sie mit Leuchtfarbe nach. Wir halten wie zufällig Vergrößerungsgläser vor manche der positiv interpretierten Wörter. Auf diese Art versuchen wir, auf unsere Positivrollen aufmerksam zu machen. Wir stellen uns dar, als wären wir viel schöner, fleißiger, intelligenter, größer, leistungsfähiger oder weitsichtiger, als wir real sind. Tarnen und Täuschen heißt unser Motto. Durch all die uns anerzogenen Fremdwerte verzerren wir unsere Realität. Wir haben nun keine geniale Kugelform mehr. Sobald wir uns mit all diesen Rollen identifiziert haben, sind wir nicht mehr in der Lage, zu Eigenschaften, wie "klein, deppert, hässlich, dick, dumm, faul, langsam" zu stehen. Manche dieser Eigenschaften demonstrieren wir täglich mehrmals. Es ist nun mal unsere Realität. Biologisch genügt uns unsere Schönheit, Intelligenz, Größe, Leistungsfähigkeit, Weitsicht und unser Fleiß und so weiter allemal, um unsere Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit zu erhalten. Müssen wir denn immer weiter uns und anderen etwas vormachen mit unseren Rollen, die inzwischen eine Eigendynamik entwickelt haben? Vielleicht immer weniger, je mehr wir die Schäden erkennen, die die Rollen und Identifikationen in uns verursachen. Dass wir aufgrund der Rollen in unserer Identitätsstruktur sehr angstgesteuert durch unser Leben gehen, ist nun etwas klarer geworden. Durch die Anerziehung der Rollen mit den darin enthaltenen Werten entstand in uns eine enorme Menge von Angegriffenseinsempfindungen und Ängsten. Die daraus resultierenden Spannungen ziehen wiederum unsere Aggressionen und Gegenangriffsbestrebungen nach sich. Hätten wir nur Angst, wenn unsere primärbiologischen Werte gefährdet wären, so würden wir leben wie im Paradies. Dummerweise kann unsere Angst nicht unterscheiden zwischen den Werten, mit denen wir geboren wurden und den Werten, die uns anerzogen wurden. Sobald also jemand in unserer Umwelt nun an einer unseren Rollen kratzt, fühlen wir Angst. Jemand nennt uns dumm und kratzt damit eine Schicht von dem Dreck über dem Wort "dumm" ab, den wir angebracht haben, um eben nicht als dumm erkannt zu werden. Nachdem wir uns mit dem "nicht dumm sein wollen" und dem Dreck über dem Wort "dumm" identifiziert haben, führt ein Kratzen an dem Dreck zu einer Empfindung, als würden wir selbst angegriffen. Und dies wiederum löst Angst aus, aus der Gegenangriffsbestrebungen oder Kompensationen resultieren. Könnten wir zu unserer Dummheit, die sich doch des öfteren in unserem Tagesablauf zeigt, stehen, so hätten wir es nicht nötig, Dreck über das Wort zu schmieren, sondern könnten es gut sichtbar und lesbar auf unserer Oberfläche stehen lassen. Kommt nun jemand aus unserer Umwelt und nennt uns dumm, so kratzt er oder sie nicht an dem Dreck auf uns, weil nämlich keiner da ist. Er oder sie spricht nur etwas offenkundiges an und wir können nur zustimmen, dass neben unseren Intelligenzbereichen auch einige Dummheitsbereiche zeigen. Durch das Beiseiteschieben des Vergrößerungsglases vor dem Wort "Intelligent" fühlen wir wieder einen Wert gefährdet. Wieder hat jemand erkannt, dass wir gar nicht so intelligent sind, wie wir versuchten, der Umwelt zu demonstrieren. Wir wurden bloßgestellt und das löst eine Menge Angst aus. Wie schon gesagt, hat die Angst die Aufgabe, den gefährdet erscheinenden Wert zu schützen. Und da die Angst nicht unterscheiden kann zwischen gefährdet erscheinenden Eigenwerten und den uns anerzogenen Fremdwerten, versucht sie, den gefährdet erscheinenden Fremdwert zu schützen. Nur, wie soll die Angst dieses Konstrukt "Fremdwert" schützen? Die Werte Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit haben reale Bezüge. Doch wie soll die Angst ein "nicht dumm erscheinen wollen" schützen? Sie tut sich dabei verdammt hart. Und trotzdem versucht sie es. Hat jemand aus unserer Umwelt einen unserer Dummheitsbereiche entlarvt, so sagen wir einfach, es stimmt nicht. Wir waren das gar nicht. Wir versuchen, mit übertriebener Intelligenzdemonstration zu kompensieren. Wir werten den anderen ab, indem wir auf seine noch viel größeren Dummheitsbereiche hinweisen. Wir lenken elegant oder auch mühsam vom peinlichen Thema ab und reden über das Wetter. Oder wir werden einfach aggressiv und verhauen den scheinbaren Angreifer. Wie oft geschieht es, dass wir durch die Worte anderer Angst empfinden und uns angegriffen fühlen, ohne auch nur im mindesten real angegriffen zu sein? Auf welche Arten "verteidigen" wir uns und wie praktizieren wir unsere Gegenangriffe? Sobald wir erkennen, dass Worte unsere biologischen Werte niemals angreifen können, sondern immer nur unsere anerzogenen Rollen - also Konstrukte - angreifen, wird uns klarer, wie oft wir in der Folge der Identifikationen mit unseren Rollen mit Angst und Aggressionen reagieren. Der Übertragungsprozeß von Rollen und Idealen innerhalb unserer Vergangenheit erscheint mir vergleichbar mit einer Situation, bei der uns jemand anweist, die Hände aufzuhalten, woraufhin derjenige eine Riesenportion hineinkackt und uns sagt: "Dieses wird ein wesentlicher Inhalt Deines Lebens sein. Beschütze, verteidige und vermehre es Dein Leben lang." Und das tun wir dann auch, nachdem wir uns mit dem Kot der Kultur identifizierten. Durch unsere Identifikationen machen wir uns und unserer Umwelt das Leben ganz schön oder besser gesagt unschön schwer. Wir erkennen nun besser, wie wir uns durch geäußerte Worte aus unserer Umwelt angegriffen fühlen, ohne es zu sein. Dadurch können wir aber auch lernen, mehr zu unserer Realität zu stehen um damit ein bisher nicht gekanntes Maß an Unangreifbarkeit und Stabilität zu erreichen.

 

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Copyright © 1998 Peter A. Hartberger
Most recent revision: Donnerstag, 06. August 2009