Meine Definition lautet:
Selbstbewusstsein ist unser Bewusstsein oder unsere Kenntnis
über unsere verschiedenen psychischen Strukturen, deren Inhalte,
Zielsetzungen und Wirkungen.
Was bewundern wir nun an denen, von denen wir empfinden, sie hätten
viel Selbstbewusstsein? Ihre Dominanz, Durchsetzungsvermögen, Sprachgewandtheit,
Erfolge, Selbstsicherheit, Zielstrebigkeit? Vermutlich betrachten
wir es als selbstbewusst, wenn möglichst viele dieser Attribute im
Verhalten eines Menschen dargestellt werden. Und so versuchen wir
unsererseits in unserem Verhalten möglichst viele dieser Attribute
zu demonstrieren. Oft spielen wir diese Rollen denen nach, die wir
als Selbstbewusst empfinden, ohne dass der psychische Hintergrund
dafür vorhanden ist. Aus Angst vor dem negativen Feedback der Umwelt
spielen wir also Dominanz, Durchsetzungsvermögen, Sprachgewandtheit,
Erfolg, Selbstsicherheit, Zielstrebigkeit. Wer von uns zeigt sich
schon gern schwach, durchsetzungsunfähig, stotternd, erfolglos,
selbstunsicher und ziellos? Davor haben wir viel zuviel Angst. Wir
wären ja das Gespött der Leute. Jeder würde über uns lachen. Das
können wir uns unmöglich leisten. Da wir mit unserem mangelnden
Selbstbewusstsein und unserer daraus resultierenden Angst dieses
nicht wollen, spielen wir halt die Verhaltensweisen des uns
selbstbewusst
Erscheinenden nach und vergessen, dass der es genauso macht wie wir.
In der Folge seines als mangelhaft empfundenen Selbstbewusstseins
entsteht in ihm Angst, die er glaubt, reduzieren zu können durch
das Nachspielen der Rollen der Scheinselbstbewussten.
Wenn jedoch Selbstbewusstsein unser Bewusstsein oder unsere Kenntnis
über unsere verschiedenen psychischen Strukturen, deren Inhalte,
Zielsetzungen und Wirkungen ist, dann müssten wir uns über unsere
Dominanz genauso im klaren sein, wie über unsere scheinbaren Schwächen,
deren Akzeptanz für uns die Voraussetzung für die Bildung weiterer
Dominanzbereiche ist. Dann erkennen wir auch in manchen unserer
Durchsetzungsbereiche eine starre Sturheit im Streben nach gestern
bereits überholten Zielen, die wir nur noch aus Angst vor Gesichtsverlust
durchboxen wollen. Menschen unserer Umwelt unterdrücken wir gewaltvoll
durch unser angstbedingtes Durchsetzen wollen. Wären wir
selbstbewusst,
so würden wir die Sackgasse der Gewalt nicht benötigen, so könnten
wir es uns leisten, destruktive Ziele unserer Vergangenheit in Ihr
zu belassen. Wir müssten dann nicht mehr versuchen, angstvoll diese
schädlichen Ziele zu unserem und der Umwelt Schaden in der Gegenwart
und der Zukunft zu erhalten.
Wenn also Selbstbewusstsein unser Bewusstsein oder unsere Kenntnis
über unsere verschiedenen psychischen Strukturen, deren Inhalte,
Zielsetzungen und Wirkungen ist, dann müssten wir auch in der Lage
sein, den gewaltbedingten Scheinerfolg, zum Beispiel des Konsums
und seine kostspieligen Spätfolgen zu unterscheiden von dem scheinbar
erfolglosen aber gewaltarmen Leben vieler einfacher aber sehr zufriedenen
Leute. Wir würden erkennen, dass manche unserer Selbstsicherheiten
nur in der Folge einer Riesenangst davor, uns selbst in Frage zu
stellen, bestehen bleiben. Wir würden erkennen, dass die konstruktive
Selbstinfragestellung eine der wesentlichen Säulen unserer Entwicklung
darstellt. Durch unser Selbstbewusstsein würden wir auch die Art
des Sprechens nicht so wichtig empfinden wie den Inhalt dessen,
was wir versuchen, durch Worte auf andere zu übertragen. Wir würden
erkennen, dass erst der Versuch, unsere angstvolle Konzentration
auf die Art des Sprechens zu lenken das abgehackte, blockierte Sprechen,
das wir Stottern nennen, bedingt. Wenn Selbstbewusstsein also unser
Bewusstsein oder unsere Kenntnis über unsere verschiedenen psychischen
Strukturen, deren Inhalte, Zielsetzungen und Wirkungen ist, was
sind dann diese verschiedenen psychischen Strukturen, deren Inhalte,
Zielsetzungen und Wirkungen? Kommen wir zuerst zu den verschiedenen
psychischen Strukturen in uns. In meiner Interpretation ist die
Emotio unsere zentrale Lebens bedingende und biologisch dominanteste
Struktur. In ihr findet unser größter Teil des Denkens statt. All
unsere Gefühle, unser Wollen, unsere Fantasien unsere Lebensziele
sind in ihr gespeichert. Leider und glücklicherweise ist diese Emotio
als Struktur sehr leicht zu prägen. Leider, weil all die Ängste
und Rollen, die uns in unserer Vergangenheit mit den Gewalten der
Vergangenheit eingebläut wurden, auch heute noch unser Leben meist
destruktiv, also schädlich und blockierend beeinflussen. Aber auch
glücklicherweise, weil ohne diese Beeinflussbarkeit unserer Emotio
kein Lernen und damit keine Anpassungsmöglichkeit an unsere Umwelt
bestünde. Funktionell müssen wir diese Emotio in zwei verschiedene
Strukturen trennen, in die angeborene, primärbiologische und in
die anerzogene Fremdwertstruktur. Die mit Gewalt in unsere emotionalen
Denkstrukturen hinein erzogenen Werte sorgen für einige Angst und
Verwirrung innerhalb unseres Denkens. Nun gehen wir davon aus,
dass
die zweite, wesentliche Denkstruktur innerhalb unseres psychischen
Systems die Ratio ist. Dieses rationale, sehr logisch arbeitende
System, das auf der Basis der zur Verfügung stehenden Fakten seine
Umweltbewertungen vornimmt ist vergleichbar mit einem Computer,
der emotionslos objektivst - möglich Empfehlungen für Verhaltenspläne
liefert. Das Motiv der angeborenen Emotio scheint in erster Linie
der Lebenserhalt zu sein. In den Lebenssituationen, in denen unser
Lebenserhalt nicht gefährdet erscheint besteht scheinbar nur eine
Orientierung auf Lustbefriedigungen. Wir versuchen uns zu befriedigen
durch das Fühlen mit unseren Hautsinnen, durch das Schmecken mit
unseren Geschmacksrezeptoren, das Hören mithilfe unseres Akustikapparates,
das Sehen mittels unseres optischen Systems, das Riechen durch unser
Geruchsorgan, die Neugierde, das Spiel, die Liebe oder Harmonieempfindung.
Das Motiv der uns anerzogenen Fremdwerte besteht darin, den Zustand
der geringsten Ablehnungs- oder Verlustangst, durch praktiziertes
Normenverhalten, mit der Zielsetzung auf möglichst viel positives
Feedback und mit Vermeidung von negativem Feedback, zu erreichen.
Dieses Fremdswertsystem ist ein reines Angstvermeidungssystem. Aufgrund
seiner Existenz in unserer Psyche sind destruktive Konflikte vorherbestimmt.
Dieses Wertsystem bedingt Gewalt und behindert somit das Leben,
die Partnerschaft- und Liebesfähigkeit immens. Wir erkennen, wie
unterschiedlich diese zwei emotionalen Wertsysteme in ihren Zielen
und Motiven sind. Das eine, angeborene System bejaht die Lebensfähigkeit
und die Lustbefriedigung. Das andere, anerzogene System ist bestrebt,
jeder Form von Angst durch negatives Feedback oder Verlust von positivem
Feedback aus dem Wege zu gehen. Ist es noch verwunderlich, dass wir
aufgrund dieser Diskrepanz, dieser Wertsysteme uns in permanenten
Konfliktsituationen befinden? Immer unübersichtlicher wird unsere
Lebenseinstellung gegenüber uns selbst und gegenüber der Umwelt.
Was ist denn nun unser Lebensziel? Sollen wir uns an die uns aufgezwungenen
Ziele und Normen der Kultur halten, indem wir ein Leben lang frustriert
und widerstrebend uns zur Arbeit zwingen? Sollen wir unsere Widerstände
gegen die vielen Mussbereiche des Lebens immer mehr unterdrücken,
nur um uns kulturspezifische Konsumbereiche erfüllen zu können?
Das Vorweisen dieser Konsummittel hat keinen Befriedigungseffekt,
es bedingt nur die Abwesenheit negativen Feedbacks oder die Anwesenheit
positiven Feedbacks derer, die wir für Selbstbewusst halten. Diese
zeigen jedoch ihr mangelndes Selbstbewusstsein dadurch, dass sie angstvoll
den selben Kulturzielen nachrennen, wie der größte Teil der Menschen,
die wir kennen. Oder könnte es wirklich für uns das Lebensziel sein,
unsere Lebensfähigkeit und unsere Lustbefriedigung so intensiv wie
möglich zu erhalten oder zu gestalten? Vielen klingt dieses Lebensziel
zu banal. Kann das wirklich alles sein, nur unsere Lebensfähigkeit
und unsere Lustbefriedigung anzustreben, wie es unsere primärbiologische
emotionale psychische Struktur versucht zu erreichen? Meiner These
entsprechend waren wir als noch sehr kleine Kinder, als wir noch
nur ein emotionales Wertsystem hatten am selbstbewusstesten. Erst
die Gewalten unserer Umwelt verursachten durch den Erziehungsprozess
Ängste in uns, die unsere Orientierung und Wichtigkeitsempfindung
auf uns selbst gleichmäßig und langsam wandelten in eine Orientierung
und Wichtigkeitsempfindung auf die Umwelt. Und damit verloren wir
unser damals noch vorhandenes Selbstbewusstsein. Vergleichen wir
nun einige Symptome des Selbstbewusstseins mit denen von geringerem
Selbstbewusstsein. Oder wir können auch dazu sagen Fremdbewusstsein,
weil nicht mehr unser eigenes Selbst und seine emotionalen Werte,
sondern die uns anerzogenen Fremdwerte dominieren. Die Ruhe und
Ausgeglichenheit des Selbstbewusstseins wird beim reduzierten
Selbstbewusstsein
durch Spannungen, Unruhe, Unausgeglichenheit, Zerrissenheit ersetzt.
Alle Wichtigkeiten des Lebens liegen beim Selbstbewussten in sich
selbst, beim Fremdbewussten in seiner Umwelt, den Nachbarn, den Normen,
dem Gerede der Leute und so weiter. Je stärker, dominanter oder
selbstbewusster ein Mensch ist, umso weniger wird er Gewalt als ein
Mittel zur Manipulation der Umwelt einsetzen. Wir erkennen also
im selbstbewussten Menschen geringste Gewaltquantität, im Unterschied
zu denen mit geringerem Selbstbewusstsein. Die Hintergründe der Lebenssituation,
ob positiv oder negativ findet der Selbstbewusste, aufgrund einer
intensiveren Eigenverantwortungsfähigkeit weit mehr in sich selbst.
Für den Fremdbewussten sind meist die Anderen an seinem eigenen Fiasko
schuld. Die Projektionsbereitschaft steigt durch mangelndes
Selbstbewusstsein
massiv an. Für den Selbstbewussten erscheinen Dinge und Lebenssituationen
als wichtig, wenn sie den funktionellen Charakter für unsere Lebensfähigkeit
und Lustbefriedigung erfüllen. Der Fremdbewusste wird Dinge und Lebenssituationen
eher nach dem beurteilen, ob sie positives Feedback einbringen und
oder negatives Feedback vermeiden. Und nun kommt etwas sehr wichtiges:
Die Gefühle unserer angeborenen Emotio funktionieren seinsorientiert
und linear. Die Gefühle unserer anerzogenen Emotio verlaufen auf
einer habensorientierten und polaren Ebene.
Die Eigenorientierung des Selbstbewussten bedingt die hohe Priorität
auf die Aspekte:
1. Ich
2. Jetzt
3. Hier
4. Das
Das "Ich" erscheint im konstruktiv egoistischen Sinne
als eine Grundvoraussetzung des Seins. Unsere Erziehung wandelt
oft unsere gesunde hohe Bewertung des eigenen Ich zu einer kranken
hohen Bewertung der Menschen unserer Umwelt. Nun wird es uns wichtiger,
die Erwartungen der Menschen unserer Umwelt zu erfüllen als an unsere
eigenen Motive zu denken. Unser Schuldempfinden regiert unsere Gedanken.
Das "Jetzt" ist scheinbar der wichtigste Zeitpunkt unseres
Lebens. Die Vergangenheit ist wichtig um aus Ihr unsere Lehren zu
ziehen, ohne uns die Gegenwart zu zerstören. Erzogen werden wir
in der Wichtigkeit unserer Zukunft. Eine destruktiv hohe Bewertung
der Zukunft lässt uns oft uns selbst versklaven in der Hoffnung
auf eine bessere Zukunft. Wir vergessen dabei, dass eine konstruktive
Zukunft nur die Folge einer konstruktiven Gegenwart sein kann. Wie
oft zermartern wir unsere wichtigste Zeit, also unser "Jetzt"
mit unserem Schulddenken gegenüber Anderen und unseren Projektionen
gegenüber den Menschen, die sich in grauer Vergangenheit "Verfehlungen"
uns gegenüber geleistet haben.
Das "Hier" scheint der wichtigste Ort in unserem Leben
zu sein. Durch das Reißerische in unseren Massenmedien werden andere
Orte wichtiger als das "Hier".
Das "Das" bezieht sich auf das, mit was wir uns hier
und jetzt befassen. Es kann eine Sache, ein Objekt, ein Thema oder
eine Person sein. Es besteht eine biologische Konzentration auf
"Das", was unser Leben im Moment betrifft. Wie oft sind
wir nicht bei der "Sache". Wie oft denken wir an Anderes
oder Andere und vermindern unsere Effizienz.
Zum Abschluss sei zu sagen: Wenn also Selbstbewusstsein unser
Bewusstsein
oder unsere Kenntnis über unsere verschiedenen psychischen Strukturen,
deren Inhalte, Zielsetzungen und Wirkungen ist, dann ist
Selbstbewusstsein
sehr wohl erreichbar durch das intensivere Kennen lernen uns selbst
gegenüber. Kennen wir uns selbst besser, so kennen und erkennen
wir auch unseren Nächsten besser. Und das scheint mit die Voraussetzung
für unsere eigene Liebesfähigkeit zu sein!