Gewalt

Die meisten von uns werden wohl Gewalt als etwas schädliches, negatives oder destruktives betrachten. Vielleicht empfinden wir "Gewalt" sogar als das Schädlichste, Negativste oder Destruktivste innerhalb der uns bekannten Realität. Wenn wir uns jedoch schon einmal mit der Definition des Wortes "Gewalt" konfrontiert haben, so bemerken wir zum einen, dass es uns gar nicht so leicht fällt, "Gewalt" zu definieren. Zum zweiten fällt uns möglicherweise an uns selbst auf, dass wir, je mehr wir uns mit der Definition der "Gewalt" befassen, umso mehr erkennen, dass wir gar nicht so wenig von dem im Kopf haben, was wir als "Gewalt" interpretieren. Wie kommt es nun, dass wir so behaftet sind mit etwas, was wir doch als so negativ empfinden. Mir scheint, dass wenn wir "Gewalt" in uns lösen wollen, wir uns mit den Hintergründen der Gewalt konfrontieren müssen. Unser Verständnis zum Thema "Gewalt" dürfte wohl der beste Schlüssel zur Lösung sein. Darum befassen wir uns nun mit den Themen:

Ursachen der "Gewalt".

Definition der "Gewalt".

Formen der "Gewalt".

Folgen der "Gewalt".

Lösungsmöglichkeiten der "Gewalt".

 

Ursachen der "Gewalt".

Die Voraussetzung für jegliche Art von Gewalt ist eine Probleminterpretation auf der Basis der uns anerzogenen Werte. Mit den uns anerzogenen Werten wurden uns auch eine Menge von Rollen anerzogen. Die Rollen von den Papas, Mamas, Lehrern, Kindern, Schwestern, Brüdern, Polizisten, Chefs, Angestellten und so weiter enthielten natürlich auch die Zuständigkeitsbereiche, in denen geregelt wurde, wem welche Pflichten oblagen, und wer welche Legitimationen hatte. In unseren kindlichen Spielen lernten wir, diese Rollen in uns einzuprägen. Schon damals hatten wir meist ein Bestreben, die Rollen derer zu spielen, mit denen wir uns am ehesten identifizierten. Mit dem Spiel der Rollen verbanden wir natürlich auch deren Legitimationen, Machtbereiche und Rechte, die wir schon damals verwendeten, um unsere damaligen "Kinder, Haustiere, Untergebenen, oder Frauen" so zu behandeln, wie es uns doch in der Rolle des Papas, Polizisten, Kapitäns oder Chefs zustand. Wurden unsere damaligen Erwartungen, die in Form von Legitimationen in unsere Rollen integriert waren nicht erfüllt, so setzten wir schon damals unsere rollenbedingten Rechte mithilfe der rollenbedingten Legitimationen ein, um das zu erreichen, was uns doch wohl rollenbedingt zustand. Schon damals, allerdings noch im Spiel unterdrückten wir andere Individuen und kämpften gegen Realitätsaspekte auf der Basis der uns anerzogenen Rollen. Wir erhielten kulturspezifische Informationen über die "Bösen" und die "Guten". Wir bauten unsere ersten Feindbilder auf, Gangster, die Indianer, Juden, Neger, Zigeuner, Andersgläubige, Russen, vieles diente als Feindbild. Und somit nicht nur als Gewaltlegitimation, sondern als Ruhm- und Ehreinbringender positiv interpretierter Gewaltauftrag, den zu erfüllen uns viel positives Feedback einbrachte. Hier liegen einige, der Wurzeln unseres heutigen Rassismus. Je nach Ort und Zeit, wo und wann wir in eine bestimmte Kultur hineingeboren wurden erhielten wir bestimmte Werte anerzogen, deren integrierte Rollen wir durch das Spiel erlernten. Wir lernten, uns mit den Rollen zu identifizieren und benutzen robotisch, stereotyp unsere scheinbaren "Rechte" heute noch, um gegen andere negativ interpretierte Individuen oder Realitätsaspekte unterdrückende Maßnahmen durch rollenbedingte Legitimationen zu billigen und zu praktizieren.

Einige Beispiele :

Aufgrund unserer anerzogenen Werte als Erzieher sehen wir ein Problem im negativ interpretierten Nasenbohren unseres Kindes. Lösbar erscheint uns dieses "Problem" durch eine Aktivität, in dessen Verlauf wir mit unserer Hand auf die Nase eines Anderen schlagen, in der die Finger eines Anderen gebohrt haben. Je nach Kultur, in der wir aufwachsen, betrachten wir es als ein großes Problem, und sind wir nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet eine negativ interpretierte fremdgehende Frau zu verstoßen oder sie sogar zu töten. Je nach unserem Rang und oder Namen betrachten wir es als ein großes Problem nicht mit der gebührenden Ehrerbietung behandelt zu werden, und sind wir nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, kulturspezifisch legitimiert, aber oft gewaltvoll unsere Ehre wiederherzustellen. Wir glauben in all diesen Situationen, dieses Verhalten steht uns nicht nur zu, sondern wir haben sogar die Pflicht, uns so zu verhalten, zum scheinbaren Wohl des Anderen. Durch anerzogene Werte ermessen wir uns also Rechte oder sogar Pflichten zu, die zu Verhaltensweisen führen, die wir wohl Gewalt nennen müssen.

Ein Oberbegriff für die uns anerzogenen "Rollen" sind "Normen". Normen können nur innerhalb der uns anerzogenen polaren Denkweise existieren. Zum Thema Linearität und Polarität jedoch ein andermal. Ideale sind in den jeweiligen Normen einer bestimmten Kultur die Maxima des positiv Interpretierten. So, wie es in jeder, mir bekannten Kultur positiv interpretiertes gibt, existieren natürlich auch negativ interpretierte Realitätsanteile. Der Vorgang, durch den erreicht wird, dass wir einen Fremdwert als eigenen Wert empfinden, nennen wir die Introjektion. Einige Worte zur Erklärung: Biologisch empfinden wir das Nasenbohren wohl nicht als negativ, sondern als einen Vorgang, durch den wir in der Lage sind, selbständig mithilfe eines eigenen Fingers einen als störend empfundenen Gegenstand mit geringst möglichem Aufwand aus unserer eigenen Nase zu entfernen. Nachdem die Umwelt in Form unserer Eltern unser Nasenbohren wohl meist als negativ bewertet, wird diese Umwelt uns dieses negativ empfundene Verhalten durch verschiedene Gewalten austreiben oder es zumindest versuchen. Haben unsere Eltern in der Folge unseres Nasenbohrens lange genug auf unsere Finger oder Nasen eingeschlagen oder wurden wir mit Liebesentzug, Schlafen müssen, Schimpfen oder ähnlichem bestraft, so entwickelte sich in uns in Verbindung mit dem Nasenbohren eine negative Assoziation. Diese negative Assoziation mit dem Nasenbohren ließ uns irgendwann das Nasenbohren als negativ empfinden. Nun war die negative Bewertung des Nasenbohrens in uns. Der Vorgang der Introjektion war in diesem Bezug abgeschlossen. In anderen Bereichen verlief es ähnlich.

Auf einen Nenner gebracht : Uns wurden mit viel Gewalt Fremdwerte aufgedrängt, durch deren Anwesenheit wir uns Vergewaltigen, Dinge (scheinbar) für andere zu tun, um Rechte zu erhalten, denen wir, dann scheinbar legitim, wieder mit Gewalt zur Erfüllung verhelfen. Die primärbiologischen Werte, die bei Mensch oder Tier im Moment der Geburt bestehen, sind auf Lebensfähigkeit und Lustbefriedigung orientiert. Diese Werte bedingen vorwiegend den größten Nutzen für das Individuum (Nicht den Schaden von Realitätsanteilen ). Da Sie linear die Lebensfähigkeit und Lustbefriedigung bejahen, verneinen Sie nichts. Die Verneinung jedoch scheint die Basis der Gewalt zu sein. Fremdwerte bedingen polares Denken. Dieses bedingt als Folgezwangsläufigkeit das Gegenteiligkeitsdenken. Ja-Nein, Weiß-Schwarz, Groß-Klein, Heiß-Kalt, Gut-Böse, ... . Erst durch das polare "Ja" entsteht also das "Nein" als Gewaltbasis. Jede Verneinung erscheint mir anerzogen. Beginnend mit der Verneinung des Nasenbohrens, über das Lügen, der Sexualität, der Anormalität, des Egoismus, bis zur Gewalt selbst. Diese und andere von manchen negativ interpretierten Realitätsanteile bedingen unsere Versuche, dagegen unterdrückend tätig zu werden. Jetzt sehen wir im Nasenbohren, im Lügen, in der Sexualität, im Anormalen, im Bösen, in der Gewalt ein Problem, gegen das man im Rahmen einer Unterdrückung angehen muss, um es, zumindest scheinbar, zu lösen . Versuchen wir diese oft negativ interpretierten Dinge oder deren Hintergründe besser zu verstehen, erkennen wir, dass es sich dabei entweder um sehr biologische Verhaltensweisen oder um Widerstände (also Schutzmechanismen) gegen Vergewaltigungsinterpretationen aller Art handelt. Wir lernen also die Gewalt schon als sehr kleine Kinder in Form der Erziehung kennen. Genauso, wie unsere Eltern sind wir erfolgsorientiert. In unserer kindlichen Umwelt sehen wir, bereits anerzogen, Problembereiche, die durch die Anwendung von Gewalt, mindestens kurzfristig, lösbar erscheinen.

Beispiel:

Mein Freund Franzl baut eine völlig "falsche" Sandburg. Nach einigen Ohrfeigen baut er die "richtige" Sandburg. Fazit: Durch Gewalt "funktioniert" der Franzl besser. Die Gewalt "funktioniert" also als Problemlösungsmechanismus (scheinbar). Dass der Franzl inzwischen nicht mehr mit mir Sandburgen baut und auch sonst nichts mehr mit mir unternimmt, bringe ich mit meiner Gewalt von früher oft nicht in Verbindung.

Definition der "Gewalt".

Aufgrund seiner ihm anerzogenen Werte sieht der Gewaltanwendende ein Problem, das nur durch eine Aktivität GEGEN den Problemauslöser im Rahmen einer UNTERDRÜCKUNG lösbar erscheint. Die Gewalt erscheint also als ein PROBLEMLÖSUNGSMECHANISMUS, der durch FREMDWERTE bedingte Denkens- und oder Verhaltensweisen nach sich zieht, die GEGEN REALITÄTSASPEKTE (Menschen, Situationen, Dinge u.s.w. ..) im Rahmen einer UNTERDRÜCKUNG gerichtet sind. Die beiden Schlüsselworte, um die es geht, sind: "GEGEN" und "UNTERDRÜCKUNG".

Formen der "Gewalt".

Wenden wir uns zuerst der Gewalt zu, die uns am auffälligsten erscheint und der wir bewusst am häufigsten begegnen. Der körperlichen Gewalt. Mit Dieser und der psychischen Gewaltform sind wir in unserer Kindheit in erster Linie manipuliert worden. Die "schlagenden" Argumente unserer Erzieher waren meist unsere ersten gewaltbezogenen Erfahrungen innerhalb unseres Lebens. Wir waren damals die Opfer und erlernten dadurch unsererseits den scheinbaren Nutzen der Gewalt. Die psychische Gewalt wurde von unserer Umwelt, meist unseren Erziehern, aus den selben Gründen und mit den selben Zielen eingesetzt, wie die körperliche Gewalt. Die psychische Gewalt erschien nur humaner als die körperliche Gewalt. Außerdem war sie effizienter. Sobald wir als Kinder einmal einen Fremdwert introijziert hatten, verursachte eine Missachtung des Normenwertes eine Schuldempfindung in uns, die durch Schuld projizierende Vorwürfe unserer Umwelt unser Handeln dauerhafter beeinflussten, als wenn wir immer wieder verhaut worden wären. Ich bin nur der Meinung, dass diese Form der Gewalt in uns die meisten Schäden hinterließ. Die Schuldempfindung, in unserer Kindheit in Form von Vorwürfen in uns eingepflanzt, gleichend einem Samen, der in die Erde gepflanzt wurde, hat sich häufig zu einem Schuld-Urwald in uns entwickelt. Dieser Schuldempfindungsurwald lässt uns heute oft kaum ein glückliches Leben leben. Wir wurden zu Marionetten der Umwelt, mit unseren abhängigkeitsförderlichen Schuldempfindungen. Mir erscheint diese Gewaltform also keineswegs weniger destruktiv als die körperliche Gewalt. Die Gruppengewalt wird erst durch eine Identifikation mit Gruppen möglich. Nach dem Identifikationsprozess ist es ein Leichtes, ein Feindbild in uns zu erzeugen. Nach der Entstehung eines Feindbildes ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis in uns das Motiv entsteht, den Feind in allen möglichen Bereichen zu schädigen, ihn zu frustrieren, so gut es geht. Je nach der Intensität der Feindesinterpretation schrecken wir auch vor der Tötung des Feindes oder seiner Angehörigen nicht zurück. Beste Beispiele sind die Kriege, in denen die Tötung der Feinde, also auch Menschen, nicht nur erlaubt, sondern erwünscht ist. Das Morden des Menschen, der der "bösen" Gruppe angehört wird mit Orden, positivem Feedback, Ruhm, Ehre und Machtbefugnissen belohnt. Dieses Gewaltbeispiel zeigt wohl am auffälligsten, wie wir Menschen uns zu manipulierbaren Robotern degradieren lassen, die die Gewaltaufträge der Umwelt erfüllen, sobald die Gewaltbasis in uns geschaffen wurde. Die Introjektion der Fremdwerte durch die Erziehung war der erste Schritt. Daraus resultierte die Negativinterpretation gegenüber eigentlich wertneutralen Realitätsanteilen. Die Gruppenidentifikation war der nächste Schritt. Dann das Feindbild. Und los ging's mit viel Gewalt. Alles was dabei auf der Strecke bleibt ist unsere eigene Identität. Und das erscheint mir als das Wichtigste an mir.

Folgen der Gewalt.

Die destruktivste Gewaltfolge scheint mir der Verlust der primärbiologischen Identität zu sein. Wie bereits besprochen wurde uns in unserer Kindheit ein zweites, kulturspezifisches Wertsystem (also Fremdwerte ) zu unserem angeborenen, primärbiologischen Wertsystem dazu erzogen. Diese Übertragung von Fremdwerten bedingt die Zwangsläufigkeit von Konflikten. Konflikte sind Spannungszustände zwischen 2 oder mehr zwangsläufig verbundenen Werten oder Strukturen aufgrund des Verlangens nach unterschiedlichen Zielen, Sachen oder Idealen. Wir alle kennen Konflikte in uns. Währe es nicht ein paradiesisches Leben, wenn wir nur ein Wertsystem und damit Konfliktfreiheit in uns hätten? Unsere angeborenen "primärbiologischen Werte" haben in erster Linie zum Ziel, die Lebensfähigkeit zu erhalten oder sie zu intensivieren. Solange unsere Lebensfähigkeit nicht gefährdet erscheint, besteht die Zielsetzung der primärbiologischen Werte darin, den Zustand der Zufriedenheit durch die Lustbefriedigung zu erreichen. Dieses Wertsystem sagt "JA" zum Leben, zu Partnerschaft und Liebe und bedingt keine Konflikte in uns! Die uns anerzogenen Fremdwerte haben zum Ziel, den Zustand der geringsten Ablehnungs- oder Verlustangst, durch praktiziertes Normenverhalten, mit der Zielsetzung auf möglichst viel positives Feedback und mit Vermeidung von negativem Feedback, zu erreichen. Dieses Fremdswertsystem ist ein reines Angstvermeidungssystem. Aufgrund seiner Existenz in unserer Psyche sind destruktive Konflikte vorherbestimmt. Dieses Wertsystem bedingt Gewalt und behindert somit das Leben, die Partnerschaft- und Liebesfähigkeit immens. Wie besprochen ist die Verneinung von Realitätsanteilen erst nach der Introjektion von Fremdwerten möglich. Sobald diese verneinenden, also Negativemotionen auslösenden Werte in unserer Psyche sind, werden wir zwangsläufig tagtäglich immer wieder mit negativ interpretieren Realitätsanteilen konfrontiert. Genauso zwangsläufig produzieren wir dadurch tagtäglich immer wieder jede Menge Frustrationen in uns und folglich auch in unserer Umwelt. Sind wir bei unseren Frustrationen und Negativemotionen, so liegt gleich um die Ecke die Psychosomatik. Die Psychosomatik befasst sich mit den Krankheiten, die in der Folge unserer Frustrationen und Negativemotionen entstehen. Meiner Interpretation entsprechend sind die weitaus meisten Krankheiten, mit denen wir Therapeuten zu tun haben, psychosomatisch bedingt. Zum Thema Psychosomatik jedoch ausführlicher ein andermal. Eine andere Gewaltfolge ist der Widerstand, den Menschen unserer Umwelt gegen uns, in Folge unserer Gewalten aufbauen müssen. Gewissermaßen produzieren wir durch unsere Gewalten Mauern zwischen uns und den Menschen um uns. Wundern wir uns dann wirklich noch über deren Frustrationen, Widerstand, Abneigung und Ablehnung uns gegenüber? Je mehr wir versuchen Gewaltfolgen zu finden, umso mehr finden wir die Charakteristik wie bei einem Eisberg vor, bei dem ja auch nur ein kleiner Teil als direkt sichtbarer Teil aus der Wasseroberfläche herausragt.

Lösungsmöglichkeiten der Gewalt

Das letzte Thema, "Lösungsmöglichkeiten der Gewalt" ist kurz besprochen aber nicht leicht zu erreichen. Sobald wir als den Hintergrund unserer Gewalt die Anerziehung eines zweiten Wertsystems und seine Folgen innerhalb unseres Denkens erkennen, sagen wir uns: "Aber ich kann doch meine Erziehung nicht rückgängig machen!" Das stimmt, wir sind nicht in der Lage, Abläufe der Vergangenheit rückgängig zu machen. Wir sind jedoch in der Lage, die Entstehung, die Ziele, die Wirkung und die Folgen unserer beiden Wertsysteme wieder besser verstehen zu lernen. Unsere Kenntnis und unser Verstehen wird für den Rest sorgen.

 

p.a.hartberger@arcor.de

Copyright © 1998 Peter A. Hartberger
Donnerstag, 06. August 2009