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Eigenverantwortung und Projektion
Viele
Probleme unserer Kultur, Zeit oder Gesellschaft scheinen durch
die Verminderung unserer Eigenverantwortung bedingt zu sein.
Hierzu einige Zeilen, um die Definition, Hintergründe,
Darstellungsweisen und Folgen der Eigenverantwortung und ihrer
Störungen besser zu verstehen.
Ich beginne mit der Definition des Wortes Eigenverantwortung:
Die Eigenverantwortung erscheint mir als Fähigkeit, die bedingenden
Faktoren für sein Leben und dessen Inhalte, wie zum Beispiel
Freuden und Leiden, Lebenssituationen und Tendenzen in seinen
eigenen Werten und daraus resultierenden Denkens - und Verhaltensweisen
zu erkennen.
Und nun zur Erklärung dieser etwas abstrakten Definition. Die
Realität stellt an jedes Lebewesen immer wieder neue Anforderungen,
denen es gewachsen sein muss, um in dieser Realität zu überleben.
Ich gehe von der Neutralität der Realität aus. Damit will ich
sagen, dass die Liebe, Harmonie, das Geld oder das Leben nicht
positiv ist, sowie der Tod, der Hass, der Betrug oder der Mord
nicht negativ ist. Gleichwohl gibt es kein schönes oder
hässliches
Haus, Gesicht, Gedicht oder Wetter.
Bewertungen von Realitätsanteilen finden scheinbar nur in Individuen
statt, wie zum Beispiel der Mensch eines ist. Unsere Bewertungen
begründen sich aus unseren Werten. Werte sind unsere obersten
Denkstrukturen.
Sprechen wir kurz unsere Wertsysteme an.
Ich gehe bei meinen Thesen davon aus, dass jeder erzogene Mensch
2 Wertsysteme in sich hat.
1.Das primärbiologische Wertsystem, mit dem jedes Individuum
geboren wird. Dieses Wertsystem scheint genial einfach und
vielleicht dadurch hocheffizient zu sein. Es beinhaltet als
oberste Wertung den Lebenserhalt. Der zweite Wert, der automatisch
an Rangposition Nummer 1 tritt, solange uns unser Leben nicht
gefährdet erscheint oder wir keine Aufwendungen zum Lebenserhalt
zu tätigen haben, ist der Wert der Lustbefriedigung. Dieses
Wertsystem integriert sich harmonisch in die wertneutrale
Realität, nutzt nutzbare Realitätsanteile und kennt keine
Gewalt.
2.Das anerzogene Wertsystem. Es ist zeit-, regions-, und
kulturabhängig. Je nachdem, in welcher Zeit, Region, Kultur
oder Familie wir aufwuchsen, erhielten wir die in dieser Zeit,
Region, Kultur oder Familie gültigen Werte im Bezug auf Ethik,
Moral, Religion oder Ideale. Da dieses anerzogene Wertsystem
nur in Verbindung mit einer polaren Denkweise funktioniert,
bedingt es unser anerzogenes Gegenteiligkeitsdenken. Plus
bedingt minus, schwarz bedingt weiß, groß bedingt klein, Ideal
bedingt Kontraideal. Und so resultierten aus diesen positiv
interpretierten Idealen auch die negativ interpretierten Kontraideale.
Das anerzogene Wertsystem beinhaltet als obersten Wert den
der angstbetonten Vermeidung von negativem Feedback. Es ist
ein Wertsystem, das orientiert ist, normal zu leben, um nicht
durch Anomalie ungünstig aufzufallen. Es versucht sich ethisch
und moralisch positiv darzustellen, um nicht unethisch oder
unmoralisch zu erscheinen. Wenn es in uns wirkt, versuchen
wir, Positivideale, wie Gerechtigkeit, Ehre, soziale Integrität
anzustreben, um nicht durch ungerechtes, ehrloses oder asoziales
Erscheinen von der Umwelt abgelehnt zu werden. Es ist also
ein System, das uns im größten Maß erpressbar macht. Wir prostituieren
uns, um unsere Angst zu vermeiden, durch Ablehnung aus sozialen
Strukturen desintegriert zu werden. Gleichzeitig wenden wir
immense Gewalten, scheinbar legitim, an um unseren Idealen
und scheinbaren Rechten zur Erfüllung zu verhelfen.
Diese beiden Wertsysteme steuern unser Denken und damit unser
Leben. Das erste, um unser Leben und unsere Lustbefriedigung
zu erhalten und das zweite, mit dem Ziel der Angstminimierung
durch Vermeidung von negativem Feedback.
Wir erkennen, dass Bewertungen immer nur in Individuen stattfinden.
Wir Individuen bewerten wertneutrale Realitätsanteile auf der
Basis unserer individuellen, angeborenen und anerzogenen Werte.
Unsere Bewertungen bedingen unsere Emotionen, aus denen unsere
Verhaltensweisen resultieren.
Nach diesem Ausflug in die Erklärung der beiden Wertsysteme
kommen wir wieder zum eigentlichen Thema, der Eigenverantwortung.
Was nützt uns die Eigenverantwortung?
Sie macht uns lern- und damit entwicklungsfähig.
Beispiel: Sie gehen auf einem Weg spazieren, von dem man ihnen
sagte, es sei ihr Weg. Er führt in ihr Paradies.
Am Ende des Weges ist ihr Ziel Glück, Reichtum, Zufriedenheit
und so weiter. Man sagte ihnen, der Weg sei sicher, gerade und
eben. Und als sie auf ihrem Weg so laufen, schauen sie
den vorbeiziehenden Wolken nach und fallen in ein Loch, das
da doch gar nicht sein dürfte, auf ihrem sicheren, geraden
und ebenen Weg.
Bei diesem Fall verstauchen sie sich einen Knöchel und das
tut verdammt weh.
Im Falle der Eigenverantwortung stellen wir nun unsere Entscheidung
in Frage, ob das wirklich unser eigener Weg ist, auf dem wir
laufen wollen. Ob dieses Ziel, das uns als paradiesisch dargestellt
wurde, wirklich unser eigenes Ziel ist. Und natürlich, ob der
Weg wirklich so sicher, gerade und eben ist, wie er uns dargestellt
wurde. Weiter stellen wir unsere Gutgläubigkeit in Frage, durch
die wir naiv glaubten, der Weg der Normen, des Konsums und des
Handels sei unser eigener Weg und führte uns zu unserem
Ziel von Glück durch Besitz, Macht, Ruhm und Ehre. Eigenverantwortlich
stellen wir fest, dass wir dumm waren, soviel zu glauben und
den Wolken nachzusehen. Eigenverantwortlich sind wir in der
Lage, aus der Frustration zu lernen und nun auf den Weg zu achten,
auf dem wir laufen.
Von der Realität ausgehend treffen auf uns alle Reize, die
wir mit unseren optischen, akustischen und anderen Rezeptoren
(Augen, Ohren, Hautsinne...) aufnehmen. Diese wertneutralen
Informationen werden durch unsere Wertsysteme bewertet. Das
Ergebnis ist im rationalen Bereich unseres Denkens ein Analyseergebnis
und im emotionalen Bereich unseres Denkens eine Emotion.
Auf unser Beispiel von weiter oben angewendet bestand innerhalb
der Realität ein unsicherer Weg, unser Wertsystem oder Psyche
erwartete jedoch einen sicheren Weg. In der Folge der Konfrontation
zwischen Realität und Wertsystem entstand eine Frustration,
weil unser Wertsystem irreal, getäuscht oder falsch war.
Eigenverantwortlich werden wir nun die Frustration als Indiz
einer Irrealität, einer Täuschung, einer Illusion oder eines
Fehlers innerhalb unseres Wertsystems nutzen. Wir stellen unser
Wertsystem in Frage und passen es der Realität an, so dass es
wieder eine Einheit mit der Realität eingeht. Diesen Vorgang
nennen wir lernen.
Gesund nutzen wir also Frustrationen als Erkenntnis unseres
irrealen Wertsystems und entwickeln uns somit.
Haben wir Störungen im Bereich der Eigenverantwortung, so beginnt
nun der Formenkreis der Projektion.
Die Projektion erscheint mir als eine Bereitschaft, die bedingenden
Faktoren für sein Leben und dessen Inhalte, wie zum Beispiel
Freuden und Leiden, Lebenssituationen und Tendenzen in der Umwelt
zu sehen.
Unsere Frustration wird hierbei nicht verwendet, um unser irreales
Wertsystem in Frage zu stellen, sondern wir wandeln die Frustrationsenergie
in eine Aggressionsenergie, die wir gegen die Realität einsetzen.
Nun versuchen wir nicht mehr, unser Wertsystem der Realität
anzupassen, in der wir leben, sondern wir versuchen die Realität
gewaltvoll so zu manipulieren, dass Sie unserem kranken, weil
irrealen Wertsystem entspricht. Dieses Verhalten wurde uns von
unserer frühesten Kindheit bis heute immer wieder gelehrt. Der
Haken daran ist, dass wir nur über den Mechanismus der Gewalt
in der Lage sind die Realität unserem Wertsystem anzupassen.
Wir benötigen jedoch immer mehr Aggressionsenergien, um die
Anpassung der Realität an unser krankes Wertsystem zu erhalten.
Nicht die Realität verliert bei diesem Unterfangen Energie,
einzig und allein wir sind die Verlierer, sobald wir daran denken,
ein scheinbares Problem mit Gewalt, also durch Projektion zu
lösen.
Auf unser Beispiel angewendet, schimpfen wir auf den
blöden Erbauer des unsicheren Weges, auf den, der uns auf diesen
blöden Weg überhaupt geschickt hat, auf das Loch selbst, auf
die blöden Wolken, die mich ablenkten, auf den Schmerz. Und
nachdem wir so humpelnd, schimpfend, mit grimmig bösem Gesicht
zurück auf das blöde Loch blickend uns von Dannen machen, fallen
wir schon wieder in das nächste Loch hinein, weil wir nicht
gelernt haben.
Es war uns lieber, Feinbilder aufzubauen, die uns den mühevollen
Selbstinfragestellungsauftrag, den jede Frustration beinhaltet
ersparten und der uns den fauleren Mechanismus der Projektion
erlaubte. Der aber verhindert unser Lernen und damit unsere
Entwicklung. Mit Frustrationen können wir alle negativ interpretierten
Sachverhalte, Symptome, Lebenszu- oder -umstände, Tendenzen
oder Taten gleichsetzen.
Da der Formenkreis der Projektion und damit der Gewalt immer
die Existenz von Fremdwerten in unserem Wertsystem voraussetzt,
gehen wir noch auf einige andere Situationen ein, die unseren
Alltag begleiten.
Rechte.
Die Rollen, die unsere Fremdwerte enthalten, bedingen unsere
Pflichten und Rechte. Eine Mutter, ein Vater, ein Kind, ein
Polizist, ein Politiker, ein Nachbar, ein Freund , der Mann
oder die Frau hat diese Rechte und jene Pflichten. In den Handelsprinzipien
unserer Gesellschaft erwerben wir unsere Rechte durch die Erfüllung
unserer Pflichten. Werden unsere mühsam errungenen Rechte von
unserer Umwelt nicht erfüllt, so wenden wir aggressiv Gewalten
an, um zu unserem Recht zu kommen. Wir weisen andere wütend
auf deren Pflichten, unsere Rechte zu erfüllen hin. Wir sagen:
"Es steht mir zu, dass...".Wir fühlen bohrendes, schlechtes
Gewissen in uns beißen, sobald wir unsere Pflichten nicht oder
ungenügend erfüllten, bauen uns selbst Vorsätze auf, mit dem
Ziel, gewaltvoll unsere emotionalen Widerstände zu unterjochen.
Wir fühlen uns zugleich vergewaltigt von den Erwartungen unserer
Umwelt und im selben Moment schuldig mit schlechtem Gewissen
über das Erfüllungsdefizit unserer scheinbaren Pflichten. Wir
steigern unsere Vorsatzenergien, um den gestiegenen Widerständen
zu begegnen. Wir sind im Formenkreis der Gewalt, verlieren immer
mehr Energien, werden lethargischer, inaktiver, resignierender
und vegetieren schließlich immer mehr innerhalb unseres PSEUDOLEBENS
dahin. Nun sind wir zu Sklaven unserer Fremdwerte geworden.
Wir existieren nun vorwiegend um diese Fremdwerte, für die wir
dann leben zu erfüllen. (Siehe auch Kuckuck und Amsel).
Wenn es so ist, dass wir mit unseren Werten die wertneutrale
Realität betrachten und dadurch unsere Emotionen prägen, so
ist nicht die Realität der Faktor, der uns Freud oder Leid macht,
sondern wir selbst durch unser Wertsystem. In Ausdrucksweisen,
wie:
"Du tust mir weh, wenn Du sagst, tust oder nicht tust.....
Es macht mich ganz verrückt, daß.....Du ärgerst mich. Wegen
Dir konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen."
macht sich unsere Zuweisung der Ursachen unserer Emotionen
auf die Umwelt bemerkbar. Wir machen Schuldzuweisungen gegenüber
der Umwelt, mit dem Ziel, dass die sich gefälligst so verhalten
soll, wie es den Normen und damit unseren aus Werten entstehenden
legitimen Erwartungen entspricht.
Durch unser projizierendes Wesen werden wir den Menschen in
unserer Umwelt immer unangenehmer, unsympathischer. Wir fühlen
Ablehnung und Distanzierung von Menschen, die uns gegenüber
nicht in einem Schuld- oder Abhängigkeitsverhältnis stehen.
Dummerweise projizieren wir auch nun wieder unsere Frustrationen
infolge der empfundenen Ablehnung aggressiv auf die Menschen
in unserer Umwelt. Wieder befinden wir uns in einem Teufelskreis
der Steigerung der Ablehnungsempfindung, daraus resultierender
Frustration, projizierter Aggression, Ablehnung.
Die Lösung der Problematik scheint in der Wiedererlernung der
Eigenverantwortungsfähigkeit zu liegen. Und das erscheint mir
alles andere als leicht zu sein
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Hier noch einige Grafiken, deren Betrachtung
noch ein innigeres Verstehen von Eigenverantwortung und Projektion
ermöglichen.
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Die erste Kugel entspricht der wertneutralen
Realität. Aufgrund der Wertneutralität teile ich ihr den Wert
1 zu. Bewertungen entstehen erst durch unser Wertsystem, mit
dem wir die Realität interpretieren. Entspricht nun unser Wertsystem
(die zweite Kugel) der Realität, was sich in der Zahl 1 zeigt,
so sind wir “einig” oder “eins” mit der Realität. Daraus resultiert
eine Emotion (die dritte Kugel) der Harmonie und Einigkeitsempfindung
mit der Realität, die ich “Liebe” nenne.
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Aus der wertneutralen Realität treffen Reize
auf unser Wertsystem und werden dort bewertet. Da wir in diesem
Beispiel bereits “erzogen” sind und die kulturspezifischen “positiven
- und negativen Werte” einer Kultur schon introjiziert haben
bewerten wir nun eine wertneutrale Realität. Durch die negative
- oder positive Bewertung verliert die Interpretation der Realität
die Realität. Unser Bild der Realität entspricht also um so
weniger der Realität, je mehr wir es positiv oder negativ bewerten.
Das Resultat sind positive - oder negative Emotionen. Indikatoren
unseres Fehlverständnisses gegenüber der Realität.
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In diesem Bild verwenden wir die Existenz positiver
- oder negativer Emotionen als Indikatoren unseres Fehlverständnisses
gegenüber der Realität. Wir stellen unser irreales Wertsystem
in Frage und passen es durch Vergleiche und intensiveres Verstehen
der Realität eben dieser wertneutralen Realität an. Das Resultat
ist eine Realitätsakzeptanz.
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Dieses Bild zeigt den “kranken” Normalfall.
Wieder treffen aus der wertneutralen Realität neutrale Reize
auf unser anerzogenes Wertsystem. Wir bewerten eine neutrale
Situation negativ. (Z. B. Nasenbohren) Aus der negativen Bewertung
entsteht eine negative Emotion. Da wir die Ursache unserer negativen
Emotion nicht in unserem eigenen Wertsystem interpretieren,
sondern in der “negativen” Realität produzieren wir nun aus
der negativen Emotion Aggressionswerkzeuge, die wir gegen die
negativ empfundene Realität einsetzen. Wir praktizieren Formen
der Gewalt gegen eine Realität, die wir versuchen unserem “kranken”
Wertsystem anzupassen. In diesem Beispiel stellen wir nicht
unser Wertsystem in Frage, sondern projizieren unsere Aggressionen
gegen eine wertneutrale Realität. Durch diese Projektion verzichten
wir auf unsere Weiterentwicklung, unser Lernen und die Entwicklung
unserer Eigenverantwortung.
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p.a.hartberger@arcor.de
Copyright © 1998 Peter A. Hartberger
Donnerstag, 06. August 2009
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