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Angst
Einleitung
Wir alle kennen Angst, dieses Gefühl,
welches wir empfinden, wenn wir eine Gefahr interpretieren. In vielen
Situationen erkennen wir den Nutzen der Angst, der darin zu liegen scheint,
unser Leben zu schützen. Wo immer wir das erkennen, richten wir uns nach
dem, was uns die Angst sagen möchte.
Fahren wir zum Beispiel mit unserem Auto
mit 70 Stundenkilometern auf eine Kurve zu, die auch mit einem Rennwagen
nur 50 Stundenkilometer verträgt, so sagt die Angst: "Fuß vom Gaspedal
und auf die Bremse damit!" Meist werden wir dem Motiv und Ziel der
Angst entsprechen und das tun, was uns die Angst sagen will. Sehen wir auf
unserem Weg einen Hund angekettet, der uns wütend anbellt, dessen
messerscharfe Zähne uns entgegenleuchten und dessen Größe uns imponiert, so
sagt uns die Angst, wir sollten uns besser nach einem Weg umsehen, auf dem
die Konfrontation mit dem Untier vermeidbar erscheint. Vermutlich kommen
wir wieder dem Motiv der Angst nach, und tun, was sie will. Oder auf einer
Bergtour kommen wir auf einige Meter an eine Klippe heran, nach der es ca.
800 Meter senkrecht nach unten geht. Die Angst will uns die Annäherung an
die Klippe und das eventuelle hinunterfallen ersparen und wir erfüllen ihr
den Wunsch. Diese Ängste sind also für uns sehr lebenserhaltend, und wir,
die wir noch am Leben sind, haben bis jetzt meist auf unsere Ängste gehört.
Viele der Gestorbenen haben viele dieser Ängste ignoriert. Eine Form der
Angst ist somit beschrieben. Lebenserhalt! Wir kennen noch viele andere
Formen. Was ist zum Beispiel mit den Ängsten, die uns lähmen, die uns in
Panik bringen, die extreme Gewalten in uns auslösen, die dafür sorgen, dass
wir uns verkriechen wollen. Oder die Angst, die innerhalb von Sekunden
unsere Achseln, Oberlippen, das ganze Gesicht, die Hände, den Rücken, die
Füße in Schweiß badet, die, wenn ein attraktiver Vertreter des anderen
Geschlechts anwesend ist, uns den Bauch einziehen lässt, unsere Stimme
wandelt, einen anderen Gang bedingt, uns stottern, stammeln oder auch
großspurig daherreden lässt? Was ist mit unseren Existenzängsten? Eine
andere Form der Angst macht sich in der Depression bemerkbar, wie entsteht
sie? Was ist mit der Angst, ob wir den scheinbaren Erwartungen der Menschen
unserer Umwelt, also unserer Bezugspersonen entsprechen können? Was ist mit
unserer Angst vor dem "Nein" sagen, dem Fehlermachen? Was ist mit
unserer Angst vor der Krankheit, dem Symptom, dem
Siechtum und der Abhängigkeit im Alter, vor dem Tod? Was ist mit der Angst vor Freiheitsverlust oder dem Verlust von Dingen,
Gegenständen oder Idealen? Und was ist mit der Angst
vor Schuldempfindungen oder Sünden? Jeder von uns findet manche dieser
Ängste in sich wieder. So unterschiedlich all diese Angstformen auch
erscheinen, sie alle funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Und dieses
Prinzip ist relativ einfach zu verstehen.
Wertsysteme
Versuchen Sie sich, unsere Denkabläufe
vorzustellen. Ähnlich, wie wir in der Mathematik mit Zahlen oder Werten
rechnen, berechnen oder bewerten, funktioniert auch unser Denken insgesamt.
Nennen wir deshalb unsere oberste Denkstruktur einen Wert. Durch die
Bewertungen, die aus unseren Werten entstandenen sind, bestimmen wir die
Wichtigkeit und die Charakteristik von Realitätsanteilen. Ebenso bestimmen
wir durch diese Bewertungen die Wichtigkeit und Charakteristik von
Konstrukten. Konstrukte sind von Zivilisationen oder Kulturen konstruierte
irreale Strukturen. Zu den Konstrukten zählen die Ehrbereiche, Ideale und
Rollen, die uns im Laufe der Erziehung vermittelt wurden. Die Werte
innerhalb unserer Psyche haben also zwei verschiedene Bezüge. Einmal den
uns angeborenen Wertbereich, der zur Aufgabe hat, unsere Lebensfähigkeit zu
erhalten oder zu intensivieren. Erscheint unsere Lebensfähigkeit nicht
gefährdet, so ist das oberste Ziel des angeborenen Wertbereichs die
Lustbefriedigung. Insofern ist dieser Wertbereich derjenige mit dem
intensivsten Realitätsbezug.
Fremdwertsystem
Ein anderer Bezug besteht zu den schon
angesprochenen Konstrukten, unseren Ehrbereichen, Idealen und damit unseren
Rollen. Dieses Wertsystem nenne ich das Fremdwertsystem, da es nicht
unserem primärbiologischen, uns angeborenen Wertsystem entspricht. Diese,
uns gewaltvoll anerzogenen Fremdwerte, wollen den Zustand der geringsten
Ablehnungs- oder Verlustangst erreichen. Und das wird durch Normenverhalten
mit dem Ziel der Vermeidung von negativem Feedback und dem Erstreben von
möglichst viel positivem Feedback versucht. Es scheint immer das selbe Prinzip zu sein: Unseren Erziehern wurden in
deren Erziehung mit Gewalt Werte anerzogen. Mit diesen anerzogenen Werten,
mit denen sie sich jedoch bereits identifiziert haben, bewerteten sie
unsere Verhaltensweisen. Manche unserer Verhaltensweisen bewerteten sie als
negativ. Manche unserer biologischen Verhaltensweisen, die negativ
interpretiert wurden führten für uns kindliche Opfer zu Frustrationen durch
Strafe. Mit diversen Formen von negativem Feedback wurden wir erpresst,
sobald unsere Handlungsweise den Erwartungen unserer Erzieher im negativ
interpretierten Sinn nicht entsprachen. Niemand
wundert sich, dass in uns eine Menge Angst entstand. Diese Angst konnten
wir dadurch reduzieren, dass wir Verhaltensweisen demonstrierten, die in
unserer Umwelt positives Feedback auslösten. Durch all diese Vorgänge
erhielten wir ein ähnliches Fremdwertsystem wie das unserer Erzieher, mit
dem wir uns unsererseits wieder identifizieren. Vermutlich geben wir die
uns anerzogenen Fremdwerte wieder mit ähnlichen Gewalten an unsere Kinder
oder sollte ich besser sagen, Opfer weiter, in denen dann die selben Ängste entstehen, die uns seit Jahren durch
unser Leben begleiten und unser Dasein auf oft schädliche Weise leiten.
Kulturschäden
Der Mensch, und damit all seine Organe
und Strukturen wie das Nervensystem, Verdauungssystem oder das
Hormonsystem, hat sich innerhalb sehr vieler
Generationen, entwickelt. Entwicklung heißt unter Anderem Anpassung an
Umweltkonstellation mit dem Zweck, unsere Überlebensfähigkeit zu steigern.
Also hat unser Organismus sich innerhalb von Jahrmillionen an eine Umwelt
der Vergangenheit angepasst, in der wir heute nicht mehr leben. Unsere
jetzige Existenz innerhalb unserer Kulturen erfordert gänzlich andere
Reaktionen als sie durch unsere Genetik erbracht wird. Gehen wir davon aus,
dass es in unserer ferneren Vergangenheit nur die Werte LEBENSFÄHIGKEIT und
LUSTBEFRIEDIGUNG innerhalb unserer Psyche gab. Diese beiden angeborenen
Werte bedingen aufgrund ihrer Einfachheit ein geniales Lebensprinzip. Die
in den Tausenden von Jahren entstandenen Kulturen, in denen wir aufwachsen,
bedingen die Übertragung einer Menge von neuen Werten in uns. So erhalten
wir den Wert des Besitzes, aus dem sich unsere Verlustängste entwickeln.
Oder den Wert der Ehre, Macht, Ansehen und so weiter. Jeder neue Wert, den
wir innerhalb unserer Erziehung erhielten, erschien und erscheint uns in
verschiedenen Lebenssituationen als gefährdet. Jede Empfindung einer
Gefährdung eines unserer Werte löst jedoch Angst aus. Ob diese Ängste nun
bewusst oder unbewusst erlebt werden, ist für die Wirkungen der Ängste
nicht sehr relevant. Und sobald diese Ängste einmal entstanden sind,
besteht keine Möglichkeit mehr, die Wirkungen dieser Ängste zu behindern.
Jeder Versuch, etwas gegen unsere Ängste zu unternehmen, lässt unsere
Ängste reflektorisch nur noch wachsen. Im gesunden Zustand unserer Psyche
bewirkt Angst immer einen Mobilisierungsversuch, der erst durch andauernde
Inaktivität in Resignation übergeht. Um die Schäden besser zu verstehen,
die in uns im Rahmen unserer Vergangenheit durch die Übernahme von
kulturspezifischen Werten entstanden sind, gehe ich auf diesen Aspekt durch
Beispiele ein.
Ideale
Kommen wir zum Thema Ideale. Ideale
erscheinen mir als die ethischen Maxima einer Kultur. In unserer frühesten
Kindheit wurden wir angehalten, uns mit diesen Idealen zu identifizieren.
Gerechtigkeit, Fairness, Mut, Nationalismus, Redlichkeit, Ehre,
Ehrlichkeit, Freiheit, Einigkeit und Treue sind nur einige dieser Ideale.
Ideale gleichen in ihren Wirkungen Vorsätzen, die wir immer weniger
erreichen, je mehr wir es versuchen. Und je weniger wir Vorsätze oder
Ideale erfüllen können, umso intensiver wachsen unser schlechtes Gewissen
und die Angst, und mit diesen Beiden das Motiv, unsere Vorsätze oder Ideale
zu erfüllen. Die Ideale, die ein Vereinsmeier oder Beamter in seiner
Kindheit übernahm unterscheiden sich intensiv von denen eines Punkers oder
eines Rockers. Solange unsere Ideale nicht gefährdet erscheinen, fühlen wir
uns wohl und haben keine Angst. Und damit fühlen wir keine Aggression.
Jedoch beunruhigt uns bereits die Existenz von Gruppen mit anderen Idealen
als unseren eigenen. Massive Angst oder Aggression entstehen in uns, wenn
die Ideale der anderen Gruppe unsere eigenen Ideale gefährden. Punker und
Vereinsmeier haben sehr selten miteinander zu tun. Die Unterschiedlichkeit
der Ideale beider Gruppen verursachen in den Mitgliedern beider Gruppen
intensive Aggressionen und wüste Beschimpfungen der jeweiligen Gegengruppe.
Ein Feindbild ist entstanden. Feindbilder entstehen umso
leichter, je mehr eine Idealidentifikation besteht, die mit einer anderen
Idealidentifikation konfrontiert wird. Besteht nun keine
Distanzierungsmöglichkeit zwischen Menschen unterschiedlicher
Idealidentifikationen, so ist Krieg fast unausweichlich. Keiner der mir
bekannten Kriege verlief ohne Idealidentifikation und daraus resultierenden
Feindbildern. Das Prinzip scheint immer das selbe
zu sein, ob Kleinkrieg innerhalb einer Familie oder ein Krieg zwischen
Staaten.
Schuldempfindung
Auch die Schuldempfindung ist eine
Angstform, die mit der Identifikation mit unseren Rollen zu tun hat. Sobald
wir uns zum Beispiel mit der Rolle eines Ehemannes identifizieren,
übernehmen wir auch die Pflichten, Zuständigkeiten und Rechte eines
Ehemannes. Wir haben Erwartungshaltungen an die Dinge, die uns als Ehemann
doch zustehen. Wir reagieren mit Aggressionen, sobald die Umwelt, meistens
in Form unserer Frauen, unsere Ehemann-Privilegien nicht erfüllt. Sobald wir
jedoch eine oder mehrere unserer rollenorientierten Pflichten nicht
erfüllen und dadurch jemand leidet, dem oder der die Erfüllung unserer
Pflichten zugestanden hätte, fühlen wir unser schlechtes Gewissen und
unsere Schuldempfindungen bohren. Normenorientiert versuchen wir nun,
unsere unangenehmen, Angst auslösenden Schuldempfindungen dadurch
abzubauen, indem wir gezwungenermaßen unsere Pflichten zu erfüllen
versuchen. Ähnlich wie unsere Schuldempfindungen sind auch unsere
Mitleidsempfindungen erst eine Folge unserer Identifikationen.
Zwischenerklärung Angst
Durch die Erklärung der uns anerzogenen,
konstruierten Rollen ist das Verständnis der Angst möglicherweise etwas
gewachsen. Hier noch einmal die Definition der Angst: Angst ist eine
Emotion, die in der Folge einer empfundenen Wertgefährdung entsteht. Die
Angst hat den Zweck, den gefährdet erscheinenden Wert zu schützen. Die
Angst kann nicht zwischen primärbiologischen, also angeborenen Werten und
den uns anerzogenen konstruierten Fremdwerten unterscheiden. Aus einer
Gefährdung unserer primärbiologischen Werte resultiert eine konstruktive
Verhaltensweise, die den Zweck hat, diese primärbiologischen Werte
Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit zu erhalten. Hingegen
verursacht eine Gefährdungsempfindung gegenüber unseren Rollen im
Allgemeinen eine destruktive Aggression gegen den scheinbaren Angreifer
oder ein Kompensationsverhalten. Und dieses bedeutet für uns und die Umwelt
nur Schaden.
Konstruktivängste
Wir wenden uns nun der Klärung von
Ängsten zu, die ich eingangs ansprach. Teilen wir diese Ängste zuerst in
Gruppen ein. Die erste Gruppe besteht aus den Konstruktivängsten. Sie
entstehen, wenn einer unserer primärbiologischen Werte gefährdet erscheint.
Somit erhalten diese Ängste unsere Lebensfähigkeit und unsere
Lustbefriedigungsfähigkeit. Aber auch unsere Konstruktivängste können wir
derart verändern, dass sie unsere Lebensfähigkeit und unsere
Lustbefriedigungsfähigkeit be- oder verhindern. Wie funktioniert das?
Stellen Sie sich vor, mit einem Bekannten in die Berge gefahren zu sein.
Sie stehen auf einem Hochplateau und genießen die herrliche Aussicht. Einer
von Ihnen beiden kommt auf die Idee, sich näher an den Rand, nachdem es ca.
800 Meter in die Tiefe geht, heranzuwagen. Unsere Biologie sagt: "Für
was sollte ich näher an den Rand gehen? Von hier aus ist die Aussicht ohne
Gefahr zu genießen." Die uns anerzogenen Werte sagen: "Stell dir
nur vor, was deine Bekannten zu deinem Mut sagen werden. Vielleicht kneift
mein Bekannter und traut sich nicht so nah an die Klippe ran wie ich? Dann
habe ich die Mutprobe gewonnen und steh vor meiner Umwelt gut da, und ich
werde vom positiven Feedback nur noch so überhäuft. Außerdem kann ich jetzt
sowieso nicht mehr zurück, wie steh ich denn dann da? Was würden die Leute
sagen, wenn ich nun meinen Schwanz einziehe?" Sollte es nun unsere
Fremdwertstruktur in uns sein, die das Entscheiden dominiert, so werden wir
ein Verhalten praktizieren, das unseren biologischen Motiven nicht
entspricht. Wir zwingen uns also, unsere Angst zu ignorieren und immer
näher an die Klippe heranzugehen. Mit jedem Schritt in Richtung Klippe
steigt unsere Angst. Die primärbiologische Struktur in uns hat die
Möglichkeit, die Angst in enorme Höhen hinaufzuschrauben. Irgendwann werden
wir die Angst in uns als negativ betrachten, weil sie uns hindert,
Verhaltensweisen auszuüben, die positives Feedback einbrächten oder die
negatives Feedback vermeiden würden. Und je mehr wir uns zwingen, Dinge zu
tun, die unsere biologischen Werte gefährden, um so
mehr wird die Angst steigen, die wir dann immer mehr als negativ und
feindlich empfinden müssen. Auf diese Art haben wir es geschafft, aus der
Angst, einer unserer freundlichsten und lebenswichtigsten Emotionen, einen
schrecklichen Feind zu machen, der in der Lage ist, unser Leben auf oft
brutalste Art zu zerstören. Je nachdem, zu welcher Verhaltensweise wir uns normenorientiert zwangen, die primärbiologischen Werte
waren gefährdet. Irgendwann werden dann auch unsere biologischen
Verhaltensweisen nicht mehr durchführbar sein. Vor lauter Angst werden wir
nicht mehr in die Berge fahren, wir werden nicht mehr unter Menschen gehen,
wir werden nicht mehr auf freie Plätze gehen, wir können bestimmte Dinge
nicht mehr essen, wir steigen in kein Auto oder Flugzeug mehr, wir machen
immer größere Bögen um immer kleinere Hunde. Diese Liste lässt sich noch
viel weiter fortsetzen. Und die übliche Angsttherapie spannt den Bogen nur
noch weiter. Einzeltherapeutische - und Kollektivgewalten schlagen immer
mehr auf die feindlich erscheinenden Ängste ein, ohne zu verstehen, dass
diese Ängste bereits ein Produkt der Gewalt des Einzelnen sind. Therapie in
meinem Sinn heißt, die Hintergründe der Angstignoranz besser verstehen zu
lernen. Die Hintergründe liegen immer in den uns anerzogenen konstruierten
Rollen und Idealen. Es ist an der Zeit, ein Selbstbewusstsein aufzubauen, das sich wieder mehr an unseren primärbiologischen
Werten orientiert, als an den uns anerzogenen, die uns ja so oft zu
Marionetten der Angst machen.
Destruktivängste
Die zweite Gruppe besteht aus den
Destruktivängsten. Sie entstehen, wenn unsere anerzogenen Rollen oder
Ideale angegriffen erscheinen. Diese Ängste versuchen also, die Konstrukte,
Rollen oder Ideale aufrechtzuerhalten. Nachdem diese Konstrukte nicht real
existieren, können Sie nicht real geschützt oder verteidigt werden. Der
Schutzmechanismus beschränkt sich also darauf, Gegenangriffe gegen den
scheinbaren Angreifer zu praktizieren oder und unsere gefährdet
erscheinenden Rollen oder Ideale zu intensivieren. Ein Beispiel hierzu: Die
Rolle des Mannes in unserer Gesellschaft beinhaltet die Demonstration von
Dominanz, Muskeln, Erfolg, Macht und so weiter. Stellen Sie sich folgende
Situation vor: Ein Paar sieht fern. Die Frau bewundert die Figur eines spärlich
bekleideten Hünen. Mit einem geringschätzigen Blick und den Worten:"
Bevor du so fett wurdest hattest Du eine ähnlich tolle Figur!" wendet
sie sich an ihn. Da unsere Kultur ein schlankeres Figurideal vorgibt, als
wir meist darstellen, entsteht in dem, der diese Worte hört als erstes
Angst. Erinnern wir uns an die Definition des Wortes Angst: Angst ist eine
Emotion, die in der Folge einer empfundenen Wertgefährdung entsteht. Unser
Figurideal ist ein uns anerzogener Wert, der uns innerhalb unseres Alltags sehr
häufig gefährdet erscheint. Die Angst, die aus dieser
Wertgefährdungsinterpretation entsteht, verursacht nicht Zähneklappern oder
Kniezittern. Trotzdem ist es eine Form der Angst, die wir in solchen
Situationen empfinden. Die Angst hat den Zweck, den gefährdet erscheinenden
Wert zu schützen. Biologisch ist unser "Beispielmann" nicht
angegriffen, da seine Lustbefriedigungsfähigkeit und seine Lebensfähigkeit
nicht gefährdet sind. Nur, wie könnte der in diesem Beispiel gefährdet
erscheinende Wert des Figurideals des Mannes geschützt werden? Einer
reagiert mit einem Ablenkungsversuch vom höchst unangenehm empfundenen
Thema, indem er fragt: "Hat eigentlich Tante Emmi ihr Teil vom
Geburtstagskuchen schon abgeholt"? Ein anderer fragt aggressiv im Rahmen
eines Gegenangriffs: "Hast du dich eigentlich in letzter Zeit mal auf
die Waage oder vor den Spiegel getraut"? Wieder ein anderer schweigt
schuldbewusst und meldet sich am nächsten Tag im nächsten
Bodybuilding-Center an. Der nächste schmollt drei Tage lang und bestraft
seine Frau mit Liebesentzug infolge ihres unverschämten Angriffes auf seine
Figur. Ein anderer Mann wird seine Kavalierrolle aktivieren um sein
empfundenes Figurmanko auszugleichen. Im Extrem beweist ein Mann seiner
Frau durch Verprügeln, dass ihr diese Äußerung nicht zusteht.
Therapie
Die Therapieform richtet sich nach der
Art der Angst. Wir unterscheiden die bereits genannten zwei Angstformen.
Die Konstruktivängste, die den Zweck haben, unsere biologischen Werte
Lebensfähigkeit und Lustbefriedigungsfähigkeit zu schützen. Wir haben uns
diese lebenserhaltenden Ängste zum überdimensional großen Feind gemacht,
indem wir sie ignorierten. Im Verlauf einer Therapie dieser Ängste muss
meines Erachtens gelernt werden, diese Ängste wieder zu respektieren, auch
wenn die Ängste noch so unsinnig erscheinen. Und die zweite Angstform,
unsere Destruktivängste, die entstehen, wenn unsere anerzogenen Rollen oder
Ideale angegriffen erscheinen. Bei dieser Angstform ist durch die Analyse
der gefährdet erscheinenden Rolle oder des Ideals die Identifikation mit
der Rolle oder dem Ideal zu lösen. Erst danach löst sich die Angst von
selbst auf.
peterhartberger@gmail.com
Copyright © 2001 Peter A. Hartberger
16 Oktober, 2007
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